Endstation Färöer
musste auf den Tisch. »Und was ist mit Sonja Pætursdóttir? Sie war doch fast täglich an Bord und sie war Journalistin.«
Ich sah aus den Augenwinkeln, dass die Zwillinge Schulze und Schultze sich anspannten, aber mein Blick war auf die Brille fixiert. Nun gab es keinen Zweifel mehr, der Sommer war vorbei, sogar das Lächeln sah jetzt verkrampft aus.
»Ich will nicht leugnen, dass Sonja Pætursdóttir ein paarmal an Bord gewesen ist.«
Nein, dazu bist du zu schlau, dachte ich.
»Das geht nur uns etwas an. Außerdem gibt es einen großen Unterschied zwischen einem gewöhnlichen Journalisten und einer hübschen Frau. Es war uns ein Vergnügen, sie einige Male zum Mittagessen bei uns zu haben.«
Jetzt lächelte er wieder über die ganze Visage. Er wollte wohl andeuten, dass wir beide, mein Gott nochmal, ja schließlich Männer seien, ich würde schon verstehen …
Die Götter sollten nur wissen, dass ich nicht die geringste Lust hatte, diesen Kerl zu verstehen. Ich machte einen letzten, hilflosen Versuch.
»Vielleicht könnten wir uns ein andermal ja doch unterhalten. Sie könnten mir erzählen, warum die Färöer so ein guter Platz für den Forellenfang sind.«
Mir war selbst klar, dass dies nicht gerade die Frage war, auf die ein großer Geschäftsmann aus Paraguay unbedingt antworten wollte. Er antwortete auch nicht, sondern ging ein paar Schritte an Deck entlang und öffnete eine Luke.
Ich schlug meinerseits den Kurs Richtung Heimat ein, empfand aber einen Stich Demütigung, weil ich beiseite geschoben worden war wie ein nörgelndes Kleinkind, und mich ritt der Teufel. Ich drehte mich um und rief in meinem selbst gestrickten Deutsch: »Vielleicht wir über lachende Albert reden können?«
Der Kopf des glatzköpfigen Alten, der immer noch über Deck zu sehen war, erstarrte, und während ich langsam zum Kai ging, fühlte ich, dass mehrere Augenpaare sich in meinen Rücken bohrten. Als ich in die Mylnugøta einbog, sah ich, dass jetzt vier Männer an Deck standen. Alle schauten mir nach.
20
Der Brief, der in dem kleinen Flur lag, hatte weder Empfänger noch Absender. Ein kleiner weißer Umschlag, von dem ich annahm, er sollte für mich sein, war ich doch der Einzige, der hier in der Wohnung anzutreffen war. Das war Logik für Fortgeschrittene. Im Umschlag lag ein Zettel, auf dem stand: S 250.000, H 250.000, Schweiz N.N.
Das war alles, aber es war nicht schwer zu erraten, wer den Zettel durch den Briefschlitz geworfen hatte und was er bedeuten sollte. Sonja und Hugo hatten jeder 250.000 Kronen aus der Schweiz überwiesen bekommen. N.N. war zweifellos das lateinische nomen nescio und bedeutete in diesem Fall, dass der Absender unbekannt war. Hier hatte ich die Erklärung, warum Hugo sich so einen teuren Japaner leisten konnte.
Es war mir auch klar, dass es bei den Schweizer Bankgesetzen gar keinen Zweck hatte, dort nachzufragen. Internationale Verbrecherorganisationen, die Mafia mit der Camorra an der Spitze hätten sich nicht einen Tag ohne die gesetzeshörigen Schweizer halten können. Diese lebten oft von der Kriminalität anderer und konnten dennoch ohne einen Fleck auf ihrer weißen Weste auftreten. Unglaublich, dass die Weltgemeinschaft das akzeptierte. Aber sie tat es.
In einem Buch hatte ich gelesen, dass Mord und Verbrechen an der Tagesordnung waren, als die Borgias in einem großen Teil Italiens regierten – das kulturelle Ergebnis waren Leonardo da Vinci, Michelangelo und die ganze Renaissance. In der Schweiz herrschte seit fünfhundert Jahren Frieden – das Ergebnis: die Kuckucksuhr.
Indem ich mich über die Schweiz ärgerte, wurde ich einiges von den Aggressionen los, die sich während des Gesprächs am Kai in mir angestaut hatten. Ich hatte einen langen Spaziergang durch die Stadt gemacht, aber als ich nach Hause kam und den Umschlag fand, nagte die Begegnung immer noch an mir. Gesegnet sei der Bankdirektor. Aber es konnte ja auch gar nicht anders sein: In einer Person, die Chandler mochte, musste ein guter Kern stecken.
Ich steckte den Zettel in meine Brieftasche.
Wenn ein Schiff einläuft, musste es sich nicht im Hafenamt und beim Zoll melden? Ich vertiefte mich ins Telefonbuch und wehe, das Hafenamt stand nicht unter Hafenamt! Es geschah nicht jeden Tag, dass man eine öffentliche Institution unter der Bezeichnung fand, die man normalerweise für sie verwandte. Es gab zwei Nummern, die Brücke und das Wachthaus in Alaker. Letzteres klang wie ein Relikt aus der Zeit, als die
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