Endstation Färöer
die Pfeife auf dem Beton aus, blies ein paarmal ins Mundstück und steckte sie dann an seinen Hut. »Das Einzige, was an Sjeyndir interessant sein könnte, sind die Grotten. Aber soweit ich weiß, gibt es da drinnen nichts außer Seehunde.«
Der Greis stand langsam auf, aber der Oberkörper hing genauso weit nach vorn wie in sitzender Stellung. Wir gingen langsam zur Siedlung hoch, und auch wenn ich ihm gern noch mehr Fragen über Sjeyndir gestellt hätte, konnte ich es doch nicht über mich bringen, in den Nacken eines alten Mannes zu reden. Mich genauso tief vornüberzubeugen wie er hätte lächerlich gewirkt, und setzen konnte ich mich auch nicht, solange er ging. Also hüpfte ich mal ein Stück nach vorn, blieb dann wieder stehen und ähnelte in meinem dunkelgrauen Mantel wahrscheinlich einer großen, flatternden Krähe.
Als wir uns etwa hundert Meter schweigend wie ein Komikerpaar aus der Zeit des Stummfilms bewegt hatten, blieb der Alte stehen, drehte die Gesichtseite des Haarschopfes zu mir und sagte lächelnd: »Die Gicht hätte zu den Plagen Ägyptens gehören sollen. Aber wahrscheinlich ist es dafür dort zu warm. Was meinen Sie, fremder Mann, ist es in Ägypten zu warm, um von der Gicht geplagt zu werden?«
Er sprach ›Ägypten‹ dänisch aus.
»Irgendeine Art von Gicht kriegen die bestimmt auch«, antwortete ich und nutzte die Gelegenheit, um zu fragen: »Kennen Sie die Grotten von Sjeyndir?«
»Ja und nein. Niemand kennt die Grotten, abgesehen von den Seehunden. Es gibt so viele, etliche Kilometer in alle Richtungen, und sie sind so tief, es ist nicht ungefährlich, da hineinzugehen. Wenn man sich verläuft, kommt man nicht lebend wieder raus. Bei den meisten Wetterverhältnissen kann man gar nicht rein, und wenn sich der Wind dreht, während man da drinnen ist, ist man in Lebensgefahr. Die Brandung hat dort eine Kraft, gegen die kein Mensch ankommt. Selbst wenn es draußen totenstill ist. Lassen Sie lieber die Finger von den Grotten, die Jugend kann sich daran erproben, für die ist das etwas, wir anderen haben uns um andere Dinge zu kümmern.«
Er ging seines Weges, während ich stehen blieb, ein paar Minuten lang in tiefer Selbstreflexion versunken. Ich sollte so etwas wie einen Journalisten vorstellen, hatte es praktisch schriftlich, lebte jedenfalls davon, aber Informationen zu bekommen, das gelang mir nicht. Weder der Greis von vorhin noch der Alte von heute Morgen hatten irgendetwas von Bedeutung beigesteuert. Vielleicht sollte ich mir eine Arbeit suchen, in der es Schweigepflicht gab. Postbote zum Beispiel. Dann müsste ich nicht mehr versuchen, den Leuten ihr Wissen aus der Nase zu ziehen, sondern konnte es ihnen servieren und den Mund halten. Und Schnaps ausliefern, ohne es zu verraten, damit die Bekannten nicht ankamen, um sich einen Teil der Ration zu leihen.
Aber ob das so unterhaltsam wäre? Ganz sicher war ich da nicht. Und heute hatte ich immerhin mit zwei Frauen telefoniert und beide hatten mir geholfen, bevor sie den Hörer auflegten. Das musste an meinem enormen Charme liegen, der zwei Frauen dazu gebracht hatte, mir ihre Informationen zu offenbaren, während die beiden Männer mir durch die Finger gerutscht waren. Die Toten zählte ich nicht mit, dann sähe das Ergebnis anders aus.
Sonja war tot, aber mit ihr hatte ich lange nicht gesprochen. Sie zählte also nicht. Hugo hatte im Ølankret einige Worte mit mir gewechselt und am nächsten Tag war er tot. Andreas-Petur hatte versucht, sich drum herumzumogeln, aber ich hatte ihn unter Druck gesetzt. In derselben Nacht wurde er zu Tode gefoltert. Kein Wunder, wenn die Leute mich mieden, Hannis Martinsson, den Todesengel. Die Götter mochten wissen, ob die Tage des Greises gezählt waren, jetzt, nachdem ich ihn am Wickel gehabt hatte.
Die Uhr sagte mir, dass ich mich beeilen müsste, in Richtung Süden zu kommen, wenn ich den Fünf-Uhr-Termin erreichen wollte. Erst auf dem Weg aus dem Ort und den Hügel hinauf fiel mir ein, dass es keinen Termin mehr gab. Es gab auch keinen Ølankret mehr. Dennoch fuhr ich weiter nach Tórshavn in der Hoffnung, dass die tiefe Weisheit der Worte ›Kommt Zeit, kommt Rat‹ mir nützen würde.
31
Tórshavn und Wochenende sind ein Cocktail, den ich schon immer gut leiden konnte. Wie gewöhnlich war er nicht zu stark, obwohl auch das passieren kann, andererseits war er fast nie ekelig süß. War man in der Lage, mit dem Drink umzugehen, gab es keinen besseren. Ich war drauf und dran, demjenigen
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