Endstation Färöer
schwarze Haar strich.
Ich fühlte keine Wut. Auch keinen Schrecken. Jedenfalls waren das nicht die dominierenden Gefühle. Kälte, eine endlose, gefrorene Schneefläche breitete sich in mir aus, und vollkommen gefühlskalt beschloss ich, dass sie so nicht davonkommen durften. Die Polizei würde sie höchstens ausweisen. Kein Beweis, Staatsbürger eines anderen Landes, internationale Probleme. Ich kannte die Litanei.
Ich brauchte keine Beweise. Ich wusste, dass sie schuldig waren und welche Strafe sie verdienten, und zwar ohne Bewährung.
34
Draußen im Landeskrankenhaus war es ganz einfach, sich in den Fahrstuhl hineinzuschleichen und bis zur B8 hochzufahren. Es war allgemein bekannt, dass das Krankenhaus ein babylonischer Turmbau war und unmöglich kontrolliert werden konnte, wer kam und ging.
Es war gegen Mittag und auf dem Flur fuhr ein Wagen mit Essen für diejenigen, die schnell genug waren. Ein schwerer, leicht süßlicher Geruch nach gekochtem Fleisch und Gemüse hing in der Luft und wirkte besonders aufdringlich, weil er in diesem sterilen Milieu so fremd wirkte. Hier sollte alles weiß und glänzend sein und nach Medizin riechen.
In einem Glaskäfig saß eine junge Krankenschwester und schrieb. Ihr weißer Kittel sah aus, als hätte er über Nacht in Stärke gelegen, und der Gesichtsausdruck, mit dem sie mich ansah, war genauso scharf wie ihre Bügelfalten.
»Was wollen Sie hier?«
Man konnte deutlich hören, dass ich hier gar nichts zu suchen hatte.
Ich versuchte, höflich zu erscheinen, und lächelte in die Eissplitter, die dort blau leuchteten, wo bei gewöhnlichen Menschen die Augen sitzen.
»Ich möchte meinen Bruder Harald besuchen«, log ich unterwürfig. »Er hatte einen Unfall und ich habe erfahren, dass er hier liegt und dass ich ihn besuchen dürfte.«
»Wer hat Ihnen das gesagt?«
Sie ließ sich nicht so einfach besänftigen. Es bedurfte mehr Wärme, um ihr Eisherz zum Schmelzen zu bringen.
»Einer der Oberärzte, ich weiß nicht mehr, wie er hieß.«
»Wie sah er denn aus?«
Sie gab nicht auf halbem Weg auf. Ich kannte einige Ärzte, hatte aber keine Ahnung, wer zu welcher Abteilung gehörte.
»Er hatte eine Glatze und eine Goldbrille«, versuchte ich es.
»Das ist Andreasson. Ja, dann ist es in Ordnung.« Fast konnte ich eine Bewegung in ihren Mundwinkeln sehen. Die Macht der Oberärzte ist groß.
Sie stand auf und bat mich mitzukommen.
Ihre Hüften bewegten sich rhythmisch den Flur entlang und der eng anliegende Kittel zeigte mehr, als er verdeckte. Aber ich ließ mich nicht täuschen. Sie war eine von den Frauen, die tagsüber die Männer hassen und nachts von ihnen träumen.
»Harald í Sátudali liegt allein auf dem Zimmer, ich komme und hole Sie dann gleich wieder ab.«
»Harald í Sátudali?«, entfuhr es mir, bevor ich überlegen konnte.
»Ja. Sagten Sie nicht, dass er Ihr Bruder ist?« Sie sah mich prüfend an.
Bevor sich das Misstrauen in ihr festsetzen konnte, beeilte ich mich hinzuzufügen: »Doch, natürlich, aber das kommt alles so plötzlich.« Ich versuchte, entschuldigend mit den Schultern zu zucken.
»Hauptsache, Sie strengen ihn nicht zu sehr an«, sagte Florence Nightingale streng und ging.
Harald lag mit einem Bein hoch in die Luft gestreckt und dick wie ein Telefonmast in seinem Krankenhausbett. Der rechte Arm, ebenfalls in Gips, ruhte in einem Metallstativ, das an der Bettkante befestigt war. Sein Gesicht war nicht verbunden, aber es sah mit den jodfarbenen Schrammen auf der Stirn und den Wangen nicht besonders gut aus. Dunkelrote Risse zeigten sich in den geschwollenen Lippen und die Nase war breiter als gewöhnlich. Er schien zu schlafen.
Ich ging zum Fenster und sah auf den Nólsoyarfjørður hinaus. Ein leichter Wind spielte mit den Nebelbänken wie Kinder mit Luftballons. Die östliche Mole kam mit den dort liegenden Schiffen zum Vorschein und verschwand wieder. Ein großes Passagierschiff, vielleicht die Norrøna, war auf dem Weg nach Shetland.
Vom Flur war Radio zu hören. Soundso viele Schiffereibetriebe waren Konkurs gegangen, wahrscheinlich würden es in den nächsten Monaten noch mehr werden. Die Gewerkschaften forderten, dass der Staat neue Arbeitsplätze schaffte, um die Arbeitslosigkeit zu umgehen, und auch die Meldungen aus dem Ausland waren nicht gerade aufmunternd.
Ich bekam Lust auf eine Zigarette, aber der Gedanke an den weißen Käfigengel genügte, um meine Hände von der Tasche mit der Zigarettenschachtel fern zu
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