Endstation Sehnsucht - Endstation Glueck?
nicht tun sollen? Darf ich mich nicht für dein Leben interessieren?“
Jennifer wusste, dass er recht hatte. Es war nur natürlich, dass er sich nicht damit zufriedengeben wollte, lediglich Höflichkeiten und Anekdoten auszutauschen. Es war auch nicht seine Schuld, dass sie sich jedes Mal bedroht fühlte, wenn sie glaubte, dass sie sich wieder zu nahe kamen. Und im Grunde wusste Jennifer auch, dass sie nur solche Angst hatte, sich James zu öffnen, weil sie noch immer etwas für ihn empfand.
„Es ist nicht so, dass du es nicht hättest tun sollen. Aber ich dachte, dass ich dir bereits alles gesagt hatte, was es zu Patric zu sagen gibt. Und was ich vergessen habe, hast du vermutlich im Internet gefunden. In Europa ist er sehr bekannt oder wird es zumindest bald sein. Seine letzte Ausstellung war ein großer Erfolg. Die Galerien streiten sich förmlich darum, seine Arbeiten ausstellen zu dürfen.“
Das hatte James alles auch in dem Artikel gelesen, den er im Netz gefunden hatte. Der Autor hatte Patric in den höchsten Tönen gelobt.
„Du hast dich früher nie für Kunst interessiert.“
„I…ich habe es früher nie für etwas gehalten, was mir einmal nützlich sein könnte. Deshalb hatte ich das Fach ja auch in der Schule abgewählt. Naja, und hier in der Gegend gibt es kaum Museen und Galerien. Ich glaube, mir ist erst an der Universität klar geworden, dass ich Kunst mag. In Paris habe ich sie dann zu meinem Hobby gemacht. Das ist dort nicht sonderlich schwierig. Die Stadt wimmelt ja nur so davon.“
„Und welche Rolle spielte der Franzose bei der ganzen Sache?“
Jennifer zuckte mit den Achseln. „Das kann ich nicht genau sagen. Vielleicht habe ich mich von seinem Enthusiasmus und seiner Leidenschaft anstecken lassen.“
„Und mit eurer Beziehung hat es nicht funktioniert.“
„Nein, hat es nicht. Warum fängst du nicht schon mal an, die Teppiche einzusammeln. Ich helfe dir auch dabei. Im Kohlenschuppen am anderen Ende vom Cottage liegt eine riesige Rolle mit Abdeckplane. Wenn ich die hole, können wir darin die Teppiche einpacken, sodass sie hoffentlich nicht allzu nass werden, wenn wir sie rübertragen.“
Das Plauderstündchen war vorüber. Diese Nachricht war bei James klar und deutlich angekommen. Er hatte Frauen nie dazu ermutigt, ihm ihre Geheimnisse anzuvertrauen. Umso seltsamer erschien es ihm daher, dass er mehr über Jennifer wissen wollte. Viel mehr.
Teppiche in das Außengebäude zu schleppen war für James nicht annähernd so interessant, wie mehr über Jennifer herauszufinden. Aber er gab nach und half ihr die nächsten zwei Stunden.
„Okay“, sagte Jennifer, als alles erledigt war und beide wieder zurück im Cottage waren. „Du musst jetzt gehen, James.“
In den letzten beiden Stunden hatte sie gelernt, dass sie sich vorsehen musste, wenn sie mit ihm zusammen war. Sie hatte seine Intelligenz und seinen Charme und Witz immer unwiderstehlich gefunden, und es schien, als ob er sich in dieser Hinsicht überhaupt nicht verändert hatte. Er hatte sie während des gemeinsamen Teppichtragens mit Geschichten unterhalten und immer wieder zum Lachen gebracht.
Zugegeben, mit ihm durch den Schnee zu stapfen, war zwar weit weniger gefährlich, als gemeinsam in der Küche zu sitzen. Aber Jennifer war besorgt über die zufälligen Berührungen, die es zwischen ihnen gegeben hatte. Seine Finger hatten mehrfach ihren Arm gestreift, und einmal waren sogar ihre Schenkel aneinandergestoßen.
Bei jeder dieser Berührungen hatte sich Jennifer unglaublich lebendig gefühlt. Es war fast, als ob sie wieder 20 wäre und sich danach sehnte, von James angefasst zu werden. Was, wenn sie in der jetzigen Situation, wo sie wegen des Wetters nicht wegkonnte, etwas tat, was sie später bereuen würde? Sie erlaubte sich nicht, viel über diese Möglichkeit nachzudenken. Aber der Gedanke, dass etwas geschehen könnte, schoss ihr gelegentlich durch den Kopf. Was, wenn sie seinen Arm ein paar Sekunden zu lang berührte oder seinen Blick länger als nötig hielt?
Allerdings war James für sie jetzt nicht mehr der makellose Superheld, für den sie ihn in ihrer Jugend gehalten hatte. Ihre Kleinmädchenverliebtheit von damals war einer realistischeren Sichtweise gewichen. Sie hatte begonnen, in ihm ein komplexes menschliches Wesen zu sehen, nachdem er ihr davon erzählt hatte, wie schwer es für ihn gewesen war, sich von einem Tag auf den anderen von einem sorgenfreien Studenten in jemanden zu verwandeln, der
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