Endstation
waren - ein weiterer Beweis für die Verwendung eines stumpfen Werkzeugs.
»Aber was für ein Werkzeug?« fragte Morris.
Sie schüttelten die Köpfe. »Das können wir noch nicht sagen. Dazu müssen wir uns erst einmal die Wundkanäle näher betrachten.«
Es war nicht leicht zu ermitteln, wie tief das betreffende Werkzeug in den Körper eingedrungen war. Haut ist elastisch und neigt dazu, in die ursprüngliche Lage zurückzuschnellen. Die Gewebeschichten darunter bewegen sich vor dem Tod und danach. Die Arbeit war mühsam. Morris spürte die Müdigkeit. Seine Augen brannten. Nach einer Weile verließ er den Autopsiesaal und ging nach nebenan ins Polizeilabor, wo der Handtascheninhalt des Mädchens auf einem Tisch ausgebreitet lag. Drei Männer beschäftigten sich mit den Utensilien. Einer identifizierte die einzelnen Gegenstände, ein anderer registrierte sie, der dritte versah sie einzeln mit Schildern. Die meisten Dinge waren ganz alltäglich: Lippenstift, Necessaire, Autoschlüssel, Brieftasche, Papiertücher, Kaugummi, Antibabypillen, Notizbuch, Kugelschreiber, Eyeliner, Haarklammern. Dazu zwei Streichholzheftchen.
»Zwei Heftchen Streichhölzer«, sagte einer der Beamten laut. »Beide mit dem Aufdruck »Marina-Flughafenhotel.«
Morris seufzte. Sie gingen so unendlich langsam und geduldig vor. Das war auch nicht besser als die Autopsie. Glaubten sie wirklich, auf diese Weise etwas herauszufinden? Ihm war diese sture Routinearbeit unerträglich. Janet Ross hatte es einmal die »Chirurgenkrankheit« genannt, diesen Drang, etwas zu unternehmen, die Unfähigkeit, geduldig abzuwarten. Bei einer Stabsbesprechung in der NPFA war es einmal um eine gewisse Mrs. Worley gegangen, einer Kandidatin für einen Stufen-Eingriff. Morris hatte sich entschieden für die Durchführung der Operation eingesetzt, obgleich bei der Frau noch einige andere Leiden vorlagen. Janet Ross hatte nur gelacht und bemerkt: »Mangelhafte Triebkontrolle.« In dem Augenblick damals hätte er sie mit Vergnügen umbringen können, und seine Wut war auch dadurch nicht besänftigt worden, daß Ellis seiner Kollegin in ruhigem, sachlichem Ton beigepflichtet und erklärt hatte, auch er betrachte Mrs. Worley nicht als geeignete Kandidatin für den Eingriff. Morris fühlte sich damals in übelster Weise hintergangen, obgleich McPherson vermittelnd einwandte, die Patientin sei in mancher Hinsicht doch geeignet und man solle sie vorerst »in Reserve« halten. Mangelhafte Triebkontrolle, dachte er, der Teufel soll sie holen!
»Der Flughafen Marina, wie?« murmelte einer der Beamten. »Übernachten dort nicht die Stewardessen?«
»Weiß ich nicht«, sagte der andere.
Morris hörte kaum noch zu. Er rieb sich die Augen und beschloß, sich noch einen Becher Kaffee zu besorgen. Er war jetzt seit sechsunddreißig Stunden ununterbrochen auf den Beinen und konnte kaum noch. Er verließ den Raum und ging auf die Suche nach einem Kaffeeautomaten. Irgendwo in diesem Haus mußte es doch Kaffee geben. Sogar Polizisten trinken Kaffee - jeder Mensch trinkt Kaffee. Dann blieb er fröstelnd stehen. Ihm war zum Thema Marina etwas eingefallen. Auf dem Flugplatz Marina war Benson zum erstenmal unter dem Verdacht verhaftet worden, einen Mechaniker zusammengeschlagen zu haben. In dem Flughafenhotel gab es eine Bar, dort war es passiert. Morris wußte das ganz genau.
Er sah auf die Uhr und ging zum Parkplatz hinaus. Wenn er sich beeilte, konnte er noch vor Einsetzen des Stoßverkehrs den Flughafen erreichen.
Als Morris in die Einfahrt zum Flughafen einbog, jaulte gerade ein Jet über ihn hinweg und senkte sich auf die Landebahn hinab. Er fuhr an Bars, Hotels und den Büros der Autoverleihfirmen vorbei. Aus dem Radio tönte die Stimme des Sprechers: »Auf der Schnellstraße nach San Diego sind drei Fahrbahnen Richtung Norden durch den Verkehrsunfall eines Fernlasters blockiert. Nach der Computerberechnung hat der Verkehrsstrom eine Geschwindigkeit von zwölf Meilen in der Stunde. Auf der Schnellstraße nach San Bernardino ist die linke Fahrbahn Richtung Süden an der Abfahrt Exeter durch einen liegen gebliebenen Personenwagen blockiert. Dort beträgt das Durchschnittstempo nach der Computerberechnung einunddreißig Meilen pro Stunde.
Morris mußte wieder an Benson denken. Vielleicht übernahmen die Computer doch die Herrschaft. Er erinnerte sich an einen komischen kleinen Engländer, der im Krankenhaus einen Vortrag gehalten hatte: Schon bald würden Chirurgen von einem
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