Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
gab es Hunderte der angesehensten kleinen Universitäten im Netz. Die Mischung aus landwirtschaftlichem Hinterland – das Leben auf Barnards Welt ahmte das Kleinstadtleben in Nordamerika um 1900 nach – und intellektuellem Eldorado hatte einige der besten Gelehrten, Schriftsteller und Denker der Hegemonie dorthin gelockt.
Nach dem Fall profitierte Barnards Welt mehr von seinem landwirtschaftlichen Erbe als von seinem intellektuellen Vorsprung. Als der Pax etwa fünf Jahrzehnte nach dem Fall mit Macht eintraf, widersetzte man sich dem Auferstehungschristentum und der auf Pacem ansässigen Regierung einige Jahre. Barnards Welt war autark gewesen und wollte es auch bleiben. Nicht vor dem Jahr des Herrn 3061, zweihundertzwölf Jahre nach dem Fall und erst nach einem blutigen Bürgerkrieg zwischen den Katholiken und Partisanenverbänden, die sich locker unter dem Namen Die Freigläubigen zusammenschlossen, wurde die Welt offiziell in den Pax aufgenommen.
Heute, erfährt de Soya anlässlich seines kurzen Besuchs bei Erzbischof Herbert Stern, sind die vielen Universitäten verlassen oder wurden in Seminare für die jungen Männer und Frauen von Barnards Welt umgewandelt. Die Partisanen sind so gut wie verschwunden, nur in den wilden bewaldeten Talregionen an einem Flusslauf namens Truthahnstrom regt sich noch etwas Widerstand.
Der Truthahnstrom war Teil des Tethys gewesen, und genau dorthin wollen de Soya und seine Männer. An ihrem fünften Tag im System reisen sie mit einer Eskorte von sechzig Pax-Soldaten und einem Teil der Elitegarde des Erzbischofs persönlich dorthin.
Sie treffen keine Partisanen. Dieser Abschnitt des Tethys fließt durch breite Täler, unter hohen Schieferklippen und durch dichte Wälder von der Alten Erde importierter Bäume, bis er sich seinen Weg durch schon vor langer Zeit urbar gemachtes Land bahnt, wo nur vereinzelte Farmhäuser und Scheunen stehen. De Soya findet nicht, dass es nach einem Ort der Gewalt aussieht, und er begegnet auch keiner.
Die Gleiter des Pax durchsuchen den Wald gründlich nach einer Spur vom Schiff des Mädchens, aber sie finden keine. Der Truthahnstrom ist zu flach, um ein Schiff darin zu verstecken – Major Andy Ford, der befehlshabende Pax-Offizier der Suche, nennt ihn »den gemütlichsten Kanu-Fluss diesseits von Sugar Creek« –, und der Abschnitt des Tethys ist hier nur wenige Klicks lang gewesen. Barnards Welt verfügt über eine moderne Flugkontrolle für Orbit- und Atmosphärenflüge, und kein Schiff hätte das Gebiet verlassen können, ohne entdeckt zu werden. Den Farmern im Gebiet des Truthahnstroms sind, wie sich bei Gesprächen herausstellt, keine Fremden aufgefallen. Am Ende versichern das Militär des Pax, der Diözesanrat des Erzbischofs und die örtlichen zivilen Behörden, dass sie das Areal konstant überwachen werden, obwohl die Möglichkeit von Angriffen der Freigläubigen besteht. An ihrem achten Tag verabschieden sich de Soya und seine Männer von Dutzenden Menschen, die man nur als neu gewonnene Freunde bezeichnen kann, erheben sich in den Orbit, werden an Bord eines Pax-Kriegsschiffs gebracht und zum Garnisonsstützpunkt im äußeren Orbit und ihrem Erzengel-Schiff befördert. Der letzte Anblick, der sich de Soya von der idyllischen Welt bietet, sind die Zwillingstürme der riesigen Kathedrale in der Hauptstadt St. Thomas, die in früheren Zeiten Bussard City hieß.
De Soya, Gregorius, Kee und Rettig entfernen sich nun wieder vom System der Alten Erde und erwachen im System Lacaille 9352, das von der Alten Erde etwa so weit entfernt ist, wie es Tau Ceti für die ersten Saatschiffe gewesen war. Hier ist die Verzögerung weder bürokratisch noch militärisch, sondern durch die Umwelt bedingt. Die Netzwelt hier, die einmal Sibiatus Verbitterung hieß und von der derzeitigen, aus wenigen tausend Pax-Kolonisten bestehenden Bevölkerung inzwischen in Unvermeidliche Barmherzigkeit umbenannt worden war, ist damals in umwelttechnischer Hinsicht grenzwertig gewesen, und heute steht es noch schlechter. Der Tethys war unter zwölf Kilometer langen Perspextunneln verlaufen, die Atemluft unter akzeptablem Druck enthielten. Diese Tunnel sind vor mehr als zwei Jahrhunderten verfallen, in dem geringen Druck ist das Wasser verdampft und die dünne Methan-Ammoniak-Atmosphäre des Planeten in die leeren Flussbetten und zerstörten Perspexröhren eingedrungen.
De Soya hat keine Ahnung, weshalb das Netz diese Geröllhalde in den Tethys aufgenommen hat. Es
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