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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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als Kundschafter vorausschickten. Vielleicht erbot er sich auch nur freiwillig, getrennt von der Gruppe zu wandern, bis sie uns in der versunkenen Stadt abliefern konnten – fünfundzwanzig konnte als ungerade Zahl eine Zeit lang hingenommen werden, aber ohne uns würde ihre Gruppe wieder aus zweiundzwanzig bestehen, ebenfalls eine Zahl, die sie nicht akzeptieren konnten.
    Als wir die Stadt erreichten, vergaß ich die Probleme der Chitchatuk mit Primzahlen.
    Als Erstes sahen wir das Licht. Nach nur wenigen Tagen hatten sich unsere Augen so sehr an das bernsteinfarbene Glühen der »Chuchkituk«
    gewöhnt – der kegelförmigen Kohleschüssel –, dass uns selbst das kurze Aufleuchten unserer Handlampen zu blenden schien. Das Licht der versunkenen Stadt war regelrecht schmerzhaft.
    Einst hatte das Gebäude aus Stahl oder Plasteel und Smartglas bestanden, vielleicht siebzig Stockwerke hoch und mit Blick auf ein hübsches grünes terrageformtes Tal – möglicherweise in Richtung Süden, wo der Fluss einen halben Kilometer entfernt floss. Nun führte unser Eistunnel zu einem Loch im Glas irgendwo etwa auf dem achtundfünfzigsten Stock, und Ausläufer des Atmosphäregletschers hatten den Stahlrahmen des Gebäudes verbogen und waren an verschiedenen Stellen eingedrungen.
    Aber der Wolkenkratzer stand noch, und seine obersten Stockwerke ragten womöglich in die schwarze, fast luftleere Atmosphäre an der Oberfläche des Gletschers. Und er erstrahlte immer noch in grellem Licht.
    Die Chitchatuk blieben vor dem Eingang stehen, schirmten die Augen ab und stießen ein Heulen aus, das sich von dem Klagelaut im Tunnel unterschied, als die Frau geholt worden war. Dies war ein Lockruf.
    Während wir dastanden und warteten, betrachtete ich das offene, aus Stahl und Glas bestehende Skelett des Gebäudes und sah Dutzende und Aberdutzende brennender Lampen, die überall aufgehängt worden waren, Stock für Stock, sodass wir durch das klare Eis unter unseren Füßen schauen und sehen konnten, wie sich das Gebäude mit hell erleuchteten Fenstern unter uns in die Tiefe erstreckte.
    Dann kam Pater Glaucus durch einen Raum auf uns zugeschlurft, der halb Eishöhle und halb Großraumbüro war. Er trug eine lange schwarze Soutane und ein Kruzifix, was ich mit den Jesuiten in ihrem Kloster bei Port Romance assoziierte. Es war offensichtlich, dass der alte Mann blind war – seine Augen waren milchig vom grauen Star und sahen ebenso wenig wie Steine –, aber das fiel mir nicht als Erstes an Pater Glaucus auf: Er war uralt, runzlig, bärtig wie ein Patriarch, und als Cuchiat ihn rief, belebten sich seine Züge, er schien wie aus einer Trance zu erwachen und zog die schneeweißen Augenbrauen hoch, sodass sich auf seiner hohen Stirn noch tiefere Runzeln bildeten. Rissige und trockene Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Das mag sich grotesk anhören, aber nichts an Pater Glaucus war in irgendeiner Form bizarr – weder seine Blindheit noch der blendend weiße Bart, noch die wettergegerbte, fleckige Altmännerhaut oder die spröden Lippen. Er war so sehr... er selbst... dass Vergleiche unzureichend sind.
    Ich hatte meine Bedenken, diesen »Glaucus« zu treffen – ich fürchtete, er könnte etwas mit dem Pax zu tun haben, vor dem wir flohen –, und nachdem ich nun gesehen hatte, dass er tatsächlich ein Priester war, hätte ich das Mädchen und A. Bettik schnappen und mit den Chitchatuk verschwinden sollen. Aber keiner von uns dreien verspürte diesen Impuls.
    Dieser alte Mann war nicht der Pax... er war nur Pater Glaucus. Das erfuhren wir nur wenige Minuten nach unserer ersten Begegnung.
    Aber bevor einer von uns etwas sagen konnte, schien der blinde Priester unsere Anwesenheit zu spüren. Nachdem er sich mit Cuchiat und Chichticia in ihrer eigenen Sprache unterhalten hatte, drehte er sich plötzlich zu uns um und hielt eine Hand hoch, als könnte er mit der Handfläche unsere Wärme spüren – die von Aenea, A. Bettik und mir.
    Dann durchquerte er den schmalen Raum und kam zu uns an die Grenze zwischen der wuchernden Eishöhle und dem überwucherten Zimmer.
    Pater Glaucus kam direkt auf mich zu, legte mir seine knochige Hand auf die Schulter und sagte laut und deutlich in Netzenglisch: »Du bist der Mann!«
    Ich brauchte eine Weile – Jahre –, bis ich diese Bemerkung richtig zu würdigen wusste. Zu dem Zeitpunkt dachte ich nur, dass der alte Priester nicht nur blind war, sondern auch verrückt.
    Es wurde vereinbart, dass wir ein paar

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