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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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mehrmals rutschten die Bremsen des Haltemechanismus an dem vereisten Tau ab, und ich wäre in den Tod gestürzt, wenn die Sicherungsleinen mich nicht gehalten hätten.
    Aenea war wach, angezogen und zum Aufbruch bereit, als ich eintraf. Sie hatte ihren Thermoanorak, den Kletterharnisch und Bergsteigerstiefel angezogen. A. Bettik und Lhomo Dondrub waren gleichermaßen gekleidet, beide Männer trugen lange, in Nylon eingeschlagene Bündel, die schwer aussahen, auf den Schultern. Sie würden mit uns kommen. Andere waren gekommen, um sich zu verabschieden – Theo, Rachel, die Dorje Phamo, der Dalai Lama, George Tsarong, Jigme Norbu –, und sie machten einen traurigen und nervösen Eindruck. Aenea sah müde aus; ich war sicher, dass sie auch nicht geschlafen hatte. Wir gaben eine müde Gruppe von Abenteurern ab. Lhomo kam herüber und gab mir eines der langen, in Nylon gewickelten Bündel. Es war schwer, aber ich schulterte es, ohne Fragen zu stellen oder mich zu beschweren. Ich schnappte mir den Rest meiner Ausrüstung, beantwortete Lhomos Fragen nach dem Zustand der Seile zum Grat hinauf – offenbar glaubten alle, dass ich unsere Route selbstlos erforscht hatte – und trat zurück, um meine Freundin und Geliebte anzusehen. Als sie mir einen fragenden Blick zuwarf, antwortete ich mit einem Nicken. Schon gut. Mir geht es gut. Ich bin bereit zu gehen. Wir reden später darüber.
    Theo weinte. Mir war klar, dass dies ein bedeutender Abschied war – dass wir uns möglicherweise nicht wieder sehen würden, auch wenn Aenea den beiden anderen Frauen versicherte, dass vor Einbruch der Nacht alle wieder vereint sein würden –, aber ich war emotional zu abgestumpft und ausgelaugt, um darauf zu reagieren. Ich entfernte mich einen Moment von der Gruppe, um tief Luft zu holen und mich zu konzentrieren.
    Wahrscheinlich würde ich in den kommenden Stunden meinen Verstand und all meine Wachsamkeit brauchen, um zu überleben. Das Problem, wenn man leidenschaftlich verliebt ist, dachte ich, besteht darin, dass man zu wenig Schlaf bekommt:
    Wir brachen von der östlichen Plattform auf, näherten uns der Kluft im schnellen Schritt auf dem vereisten Sims, erklommen die Seile, die ich gerade heruntergekommen war, und erreichten die Kluft ohne Zwischenfälle. Im wallenden Eisnebel sahen die Bonsaibäume und Flechtenfelder urzeitlich und unwirklich aus, von dunklen Zweigen und Ästen, die unvermittelt aus dem Nebel ragten, tropfte es auf unsere Köpfe. Als die Sturzflut vom letzten Überhang in die Leere links von uns fiel, hörten sich die Bäche und Wasserfälle lauter an, als ich sie in Erinnerung hatte.
    An den östlichsten und höchsten Hängen der Kluft waren ältere, nicht ganz so sichere Seile gespannt; Lhomo erklomm sie als Erster, gefolgt von Aenea, A. Bettik und mir. Mir fiel auf, dass unser Androidenfreund so schnell und geschickt wie immer kletterte, trotz der fehlenden linken Hand.
    Als wir den höchsten Punkt der Gratlinie erreicht hatten, befanden wir uns bereits jenseits des fernsten Punktes meines albtraumhaften Ausflugs – auf dem Weg, den ich eingeschlagen hatte, bildete die Kluft die Grenze des Reisewegs auf dem Grat. Nun fingen die wahren Schwierigkeiten an, als wir dem schmalsten Streckenabschnitt auf der Südseite des Felskamms folgten – ausgetretene Simse, Felsvorsprünge, vereinzelte Eisflächen, Geröllhänge. Die Gratlinie über uns bestand aus Eiszacken mit schwerem, nassem Schnee und vereisten Überhängen, die unmöglich begehbar waren.
    Wir bewegten uns lautlos und flüsterten nicht einmal, wohl wissend, dass das geringste Geräusch eine Lawine auslösen konnte, die uns binnen einer Sekunde von dem zehn Zentimeter breiten Sims reißen würde. Als das Vorankommen schließlich noch schwerer wurde, seilten wir uns an – führten das Seil durch Karabinerhaken und befestigten ein doppeltes Seil an den Schlingen unserer Harnische –, damit die anderen den von uns halten konnten, der abrutschte, oder wir würden alle abstürzen. Da Lhomo uns so sicher wie immer führte und zuversichtlich über nebelverhangene Abgründe und Eisspalten stieg, bei denen ich gezaudert hätte, fühlten wir uns, glaube ich, alle besser, nachdem wir aneinander angeseilt waren.
    Ich kannte unser Ziel immer noch nicht. Ich wusste, dass der große Grat, der von K’un Lun aus östlich an Jokung vorbeiführte, nach wenigen Kilometern an einer Steilwand aufhören würde, die unvermittelt und atemberaubend zu den mehrere Klicks tiefer

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