Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Simulakrums. Mindestens drei Erzengel richteten ihr Feuer teilweise aus Entfernungen von weniger als einer Million Klicks auf uns.
    Sie belegten uns abwechselnd mit Lanzenfeuer, worauf sie ihre Feuerkraft partiell auf andere Ziele konzentrierten. Aber die Tatsache, dass wir uns so hartnäckig weigerten zu sterben, schien ihre Wut auf uns anzustacheln, und das Lanzenfeuer kehrte stets zurück, legte kriechend die vier bis zehn Lichtsekunden zurück und explodierte auf dem Sperrfeld über uns. Eines der Schiffe war im Begriff, hinter der Krümmung des brennenden Sternenbaums zu verschwinden, aber die beiden anderen führten weiter ihre Bremsmanöver innerhalb des Systems in unsere Richtung durch und hatten freies Schussfeld.
    »Missiles wurden auf uns abgefeuert«, sagte einer der Tempelritter-Lieutenants des Captains mit einer Stimme, die nicht aufgeregter klang, als würde ich verkünden, dass das Essen serviert wurde. »Zwei... vier... neun.
    Unterlicht. Wahrscheinlich Plasmasprengköpfe.
    »Können wir das überleben?«, fragte Theo. Rachel war hinübergegangen und beobachtete den Oberst, der zum Shrike hinaufkletterte.
    Het Masteen war zu beschäftigt, um zu antworten, daher sagte Aenea:
    »Wissen wir nicht. Kommt auf die Binder an... die Ergs.«
    »Sechzig Sekunden bis Missileaufprall«, sagte derselbe Tempelritter-Lieutenant mit derselben tonlosen Stimme.
    Het Masteen berührte einen Kom-Schalter. Seine Stimme klang normal, aber mir wurde klar, dass sie über das gesamte, einen Klick lange Baumschiff übertragen wurde. »Bitte alle die Augen abschirmen und nicht zum Feld sehen. Die Binder werden den Blitz so gut wie möglich polarisieren, aber sehen Sie bitte nicht nach oben. Möge der Frieden des Muir mit uns sein.«
    Ich sah Aenea an. »Spatz, ist dieses Baumschiff bewaffnet?«
    »Nein«, sagte sie. Ihre Augen sahen so müde aus, wie sich ihre Stimme anhörte.
    »Also werden wir nicht kämpfen, nur... fliehen?«
    »Ja, Raul.«
    Ich knirschte mit den Backenzähnen. »Dann stimme ich Lhomo zu«, sagte ich. »Wir sind zu oft weggelaufen. Es wird Zeit, dass wir unseren Freunden helfen. Es wird Zeit...«
    Mindestens drei der Missiles explodierten. Später glaubte ich mich an ein derart grelles Licht zu erinnern, dass ich Aeneas Schädel und Wirbelsäule durch Haut und Fleisch sehen konnte, aber das kann nicht sein. Ich hatte das Gefühl zu fallen... als würde der Boden unter allem wegbrechen... und dann wurde das Feld von einem Sechstel g wiederhergestellt. Ein Unterschallbrummen schmerzte in meinen Zähnen und Knochen.
    Ich blinzelte die Netzhautbilder weg. Aeneas Gesicht war immer noch vor mir – Wangen gerötet und verschwitzt, das Haar mit einem hastig übergestreiften Band nach hinten gebunden, Augen müde, aber voller Leben, Unterarme bloß und von der Sonne gebräunt –, und in einem stark von Sentimentalität gefärbten Augenblick überlegte ich mir, dass es nicht undenkbar gewesen wäre, so zu sterben, mit Aeneas Bild, das in meine Seele und mein Gedächtnis eingebrannt war.
    Zwei weitere Plasmasprengköpfe ließen das Baumschiff erzittern. Dann vier weitere. »Halten«, sagte Het Masteens Lieutenant. »Alle Felder halten.«
    »Lhomo und Raul haben Recht, Aenea«, sagte die Dorje Phamo und trat in ihrem schlichten Baumwollkleid mit königlicher Eleganz nach vorn. »Du bist jahrelang vor dem Pax davongelaufen. Es ist an der Zeit, gegen sie zu kämpfen... für uns alle ist es Zeit, gegen sie zu kämpfen.«
    Ich starrte die alte Frau so durchdringend an, dass es an Unhöflichkeit grenzte. Mir war bewusst gewesen, dass sie eine Aura um sich hatte – nein, falsches Wort, zu mystisch, aber ein Eindruck kräftiger Farbe, die von ihr ausströmte, ein tiefes Karmesinrot, so stark wie die Persönlichkeit der Donnerkeil-Sau. Gleichzeitig wurde mir klar, dass mir das an diesem Abend bei allen anderen auf der Plattform aufgefallen war – das Hellblau von Lhomos Tapferkeit, das goldene Selbstvertrauen von Het Masteens Befehlen, das schimmernde Violett von Oberst Kassads Schock beim Anblick des Shrike –, und ich fragte mich, ob das eine Nebenwirkung der Sprache der Lebenden war, die ich lernte. Vielleicht war es auch nur eine Folge des Lichts der Plasmaexplosionen. Wie auch immer, ich wusste, dass die Farben nicht real waren – ich halluzinierte nicht, und mein Sehvermögen war nicht beeinträchtigt –, aber ich wusste auch, dass mein Verstand diese Zusammenhänge herstellte, diese kurzen Einblicke in die wahre