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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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draußen schien seine Stimme direkt aus der Luft zu kommen.
    Aenea setzte sich auf die Bank am Flügel und fing an zu spielen. Ich kannte die Melodie nicht, aber sie hörte sich klassisch an... möglicherweise etwas aus dem sechsundzwanzigsten Jahrhundert.
    Ich schätze, ich hatte damit gerechnet, dass das Schiff unmittelbar vor dem eigentlichen Augenblick des Übergangs noch einmal etwas sagen würde – einen letzten Countdown zählen oder so –, aber es kam keine Ankündigung. Plötzlich wurden der Hawking-Antrieb zu- und der Fusionsantrieb abgeschaltet; es folgte ein kurzes Summen, das direkt aus meinen Knochen zu kommen schien; ein schreckliches Schwindelgefühl erfasste mich und strömte durch mich hindurch – es fühlte sich an, als würde mein Innerstes nach außen gekehrt werden, schmerzlos, aber unerbittlich; und dann war das Gefühl wieder fort, ehe ich es richtig begreifen konnte.
    Der Weltraum war ebenfalls fort. Mit Weltraum meine ich das Bild, das sich mir bis vor wenigen Sekunden dargeboten hatte – Hyperions gleißende Sonne, die Scheibe des Planeten selbst, der langsam zurückblieb, der funkelnde Glanz auf der Hülle des Schiffs, die wenigen Sterne, die trotz dieses Funkelns zu sehen waren, sogar die blaue Flammensäule, an deren Ende wir uns befunden hatten – alles fort. Stattdessen sah ich... Es ist schwer zu beschreiben.
    Das Schiff war immer noch da und ragte »über und unter« uns auf – der Balkon, auf dem wir standen, schien immer noch solide zu sein –, aber es schien kein Licht mehr auf irgendeinen Teil davon zu fallen. Während ich diese Worte schreibe, wird mir schon klar, wie absurd sich das anhört – es muss Licht reflektiert werden, damit man überhaupt etwas sehen kann –, aber die Wirkung war wahrhaftig so, als hätte ein Teil meiner Augen seine Funktion eingestellt, sodass sie zwar Form und Masse des Schiffs noch erkennen konnten, aber das Licht abhanden gekommen zu sein schien.
    Außerhalb des Schiffes war das Universum vor dem Bug zu einer blauen und hinter den Heckflossen zu einer roten Kugel geschrumpft. Meine wissenschaftliche Allgemeinbildung war umfassend genug, dass ich einen Doppler-Effekt erwartet hatte, aber dies war ein falscher Effekt, da wir bis zum Übergang zu C-plus nicht nahe an der Lichtgeschwindigkeit gewesen waren und uns jetzt, in der Hawking-Falte, weit darüber hinaus befanden.
    Nichtsdestotrotz wanderten die blauen und roten Lichtkreise – ich konnte Sternenballungen in beiden Sphären erkennen, wenn ich genau hinsah – nun weiter zum Bug und Heck und schrumpften zu winzigen farbigen Pünktchen. Dazwischen, im gesamten weiten Gesichtsfeld, war... nichts.
    Damit meine ich nicht Schwärze oder Dunkelheit. Ich meine Leere. Ich meine das Gefühl Übelkeit erregenden Nichtsehens, das man verspürt, wenn man versucht, in einen blinden Fleck zu schauen. Ich meine ein derart intensives Nichts, dass das Schwindelgefühl, welches es in mir auslöste, augenblicklich zu einer Übelkeit anwuchs, die meinen ganzen Körper ebenso heftig durchschüttelte wie Sekunden zuvor das vorübergehende Gefühl, als wäre mein Innerstes nach außen gekehrt worden.
    »Mein Gott!«, brachte ich heraus, klammerte mich am Geländer fest und kniff die Augen zu. Es half nichts. Die Leere war auch dort. In diesem Augenblick begriff ich, warum sich interstellare Reisende fast immer für die kryogenische Fuge entschieden.
    So unglaublich und unvorstellbar es war, aber Aenea spielte einfach weiter Klavier. Die Töne klangen klar und kristallen, als würden sie nicht von einem Trägermedium verzerrt werden. Selbst mit geschlossenen Augen konnte ich A. Bettik sehen, der an der Tür stand und sein blaues Gesicht der Leere zuwandte. Nein, stellte ich fest, er war nicht mehr blau... Farben existierten hier nicht. Ebenso wenig schwarz, weiß oder grau. Ich fragte mich, ob Menschen, die von Geburt an blind waren, auf diese verrückte Weise von Farben träumten.
    »Kompensierung«, sagte das Schiff, dessen Stimme dieselbe kristallene Klarheit hatte wie die Töne, die Aenea spielte.
    Plötzlich stürzte die Leere in sich zusammen, und die roten und blauen Kugeln vorn und achtern stellten sich wieder ein. Innerhalb von Sekunden wanderte die blaue Sphäre vom Heck am Schiff entlang wie ein Doughnut, den man über eine Schreibfeder schiebt, und aus der vorderen Sphäre stoben ohne Vorwarnung bunte geometrische Figuren wie fliegende Geschöpfe, die aus einem Ei zum Vorschein kamen. Ich sage

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