Engel auf Abwegen
einen Blick zu, der so viel bedeutete wie Sind Sie sicher, dass Sie nicht schwul sind? Sawyer lachte nur, und Santo holte mir einen Stuhl. Marcus schenkte mir ein Glas dunkelroten Wein ein, der in einem von diesen nicht zueinander passenden Glasgefäßen serviert wurde. Ich bin kein besonders großer Anhänger von Glasgefäßen, und im Allgemeinen trinke ich Champagner oder zumindest Weißwein. Aber Sawyer beobachtete mich genau.
»Danke«, sagte ich und griff zu dem Bonne-Maman-Marmeladenglas, das mit rotem Tafelwein gefüllt war.
Sawyer blinzelte mir zu, bevor er sich dem Herd zuwandte.
Es stimmte: Alle außer mir hatten etwas mitgebracht. Knuspriges Brot in langen braunen Papiertüten, Käse, Oliven, Wein. Eine Menge Wein. Auf einem riesigen Eisenherd standen Töpfe, die überhaupt nicht zusammenpassten. Mr. Jackson besaß kein passendes Kochgeschirr.
Ich hatte das Gefühl, eine Gestalt in einem Roman von Hemingway zu sein, die in Paris mit einer Gruppe unordentlicher, im Ausland lebender Personen und reichen Amerikanerinnen auf Reisen zu Abend aß. Nach und nach entfernte ich mich von meiner Welt.
Die Küche war ziemlich primitiv, obwohl Herd und Kühlschrank ausgezeichnet funktionierten. Hier herrschte weder körperliche noch finanzielle Not.
Hmmm.
Die Gäste waren laut und rechthaberisch. (Sie redeten
über Politik, Religion und sehr private Angelegenheiten.) Sawyer hackte, kochte und hantierte mit den Töpfen herum. Dabei zeigte er eine ähnliche Hingabe wie vermutlich auch bei seiner Kunst. Währenddessen brachte er seine Freunde zum Lachen und reagierte auf ihre gutmütigen Neckereien mit lächerlichen (ein wenig verwirrten) Drohungen in Bezug auf ihre Gesundheit. Ich fand mich mit der Tatsache ab, dass an diesem Abend wohl nicht viel über »Geschäftliches« gesprochen würde, lehnte mich zurück und trank meinen Wein.
Ich bin nicht sicher, wie viel Zeit vergangen war, aber als Sawyer einen Stapel Keramikteller und Schüsseln auf den Tisch stellte, begannen die Gäste sofort reinzuhauen. Sie streckten die Hände aus und bedienten sich halb im Stehen von den verschiedenen Gerichten. Mit einem kratzenden Geräusch zog Sawyer einen Stuhl heran und wartete darauf, dass ich einen Bissen von der karamelisierten Ziegenkäsetorte nahm, die er vor mich hingestellt hatte. Die ganze Gruppe verfiel in Schweigen und wartete. Auf mir lastete ein enormer Druck.
Höflich nahm ich einen Bissen und erschrak über mich selbst, da ich um ein Haar einen NC-haften Freudenseufzer über den Geschmack der Käsetorte ausgestoßen hätte.
Die Gäste jubelten. »Das ist wirklich ein Erfolg! Sie mag es! Du bist ein Genie, Sawyer!«
Sawyer erhob sich halb von seinem Stuhl und machte eine übertriebene Verbeugung, während der Jubel noch größer wurde. Als er sich wieder hinsetzte und mir über den Tisch hinweg einen Blick zuwarf (seine Freunde waren mit Reden, Essen und Lachen beschäftigt), überkam mich ein warmes Gefühl, und mein Herz schlug höher.
Danach gab es Mozzarella, Basilikum und Tomaten aus
dem eigenen Garten, die mit einer Vinaigrette angemacht waren. Und noch mehr Brot, Oliven, Wein. Und als Hauptgericht geschmorte Kalbshaxe, die so butterweich war, dass sie sich leicht vom Knochen lösen ließ, mit einer Sauce, die Sawyer dem Kochbuchausschuss der Junior League von Willow Creek hätte verraten sollen.
Santo redete über seine Gedichte, und es schien ihm nichts auszumachen, als Quirt aus einem Werk des Künstlers einen derben Reim machte. Ich hätte wetten können, dass Quirt das getan hatte, um anstelle von Santo mich damit zu treffen, denn es war der Dichter, der mich ansah und flüsterte Es tut mir leid . Alle waren schockiert, als ich kichern musste, einen Schluckauf bekam und dann ebenfalls ein ziemlich schmutziges Lied sang. Bestimmt war der Wein daran schuld.
Danach wurde es immer lauter, und die Sprüche wurden immer derber. Alle redeten über ihre Arbeit, ihre Hoffnungen, ihre Träume. Sawyer hatte die erstaunliche Fähigkeit, seinen Gästen das Gefühl zu vermitteln, dass sie alles erreichen könnten, was sie erreichen wollten. Die Konversation war voller negativer Gefühle, aber auch faszinierend wie das Wrack eines Zuges, das man immer wieder ansehen muss. Wer weiß, wie lange das alles noch gedauert hätte, wenn Marcus nicht ganz nebenbei zu mir gesagt hätte: »Jetzt verstehe ich, warum Sie die Muse sind, die unseren Freund wieder veranlasst hat zu malen.«
Ich blinzelte.
»Sie sind
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