Engel der Kindheit
konnte nicht sein! Die Ärzte hatten sich ganz sicher getäuscht. Ihre kleine Babs konnte nicht an Leukämie erkrankt sein! Ganz sicher nicht! Das alles träumte sie nur! In der nächsten Sekunde würde sie schweißgebadet erwachen und feststellen, dass es ein schrecklicher Traum gewesen war! Ihre geliebte Babs! Ihr Sonnenschein! Keiner Fliege konnte sie etwas zuleide tun, ebenso wie sie, achtete auch Babs jedes Lebewesen. Jetzt musste sie zu ihrer Tochter gehen und so tun, wie wenn nichts geschehen wäre. Morgen würde die Chemotherapie beginnen! Was würde dann geschehen? Würden ihre wunderschönen Haare ausfallen? Müsste sie sich dauernd erbrechen? Hätten die Ärzte Erfolg mit ihrer Therapie oder würde ihre Tochter sterben? Strikt verbot Lena sich soweit zu denken! Ihre Tochter durfte nicht sterben! Nils! Er wusste nicht einmal etwas von seiner Tochter und nun war sie schwer krank! Sie musste ihn verständigen! Er musste sich testen lassen! ... Aber zuerst würde sie die Testergebnisse von sich selbst abwarten. Babs war ihr so ähnlich, vielleicht wäre sie ja in der Lage das Knochenmark für sie zu spenden!
Jetzt musste sie zu Babs, sicherlich würde sie ungeduldig warten, bis sie wieder kam.
Energielos stieß Lena sich von der Wand ab. Leise, schlurfende Geräusche über den dunkelgraumelierten Linoleumboden ziehend, schleppten ihre Füße sich über den Boden.
„Babs?“ Sanft streichelte Lena ihr schlafendes Gesicht. Träge öffnete sie die Augen.
„Mami! Darf ich jetzt wieder nach Hause?“ Flehend sah sie ihre Mutter an.
„Nein, mein Engelchen! Wir beide müssen ein paar Tage hier bleiben! Du bist doch etwas kranker, als wir gedacht haben! Ich werde jetzt nach einer Schwester sehen, die uns dein Zimmer zeigen wird!“ Traurig sah Lena, wie Babs die Tränen in die Augen traten. Fest nahm sie sie in ihre Arme und wiegte sie beruhigend hin und her, streichelte ihren zuckenden Rücken und kämpfte selbst gegen die Tränen.
Eine junge Krankenschwester in einer kunterbunt gestreiften Hose und einem überbreiten und überlangen grellgrünem T-Shirt erschien in der Türe. „Hallo Barbara! Ich bin die Vicky! Ich soll dich auf meine Station holen!“ Aufmunternd lächelte sie Babs zu.
„Babs! Ich heiße Babs!“ Unter Tränen sagte sie den Namen, mit dem alle sie riefen.
„Okay! Babs!... Guten Tag Frau Johle! Ich bin die Stationsschwester! Kann Babs laufen oder soll ich einen Wagen holen?“ Fragend sah Vicky Lena an.
„Ich denke, ein Wagen wäre nicht schlecht!“ Einfach, damit ihre Hände beschäftigt waren und sie ihre Tochter berühren konnte, strich Lena Babs das feste Haar aus der Stirn.
Nach einer Minute kam Vicky mit einem Rollstuhl, Lena hob Babs vorsichtig hinein.
An den Wänden des breiten Ganges der Station, zu der Vicky sie brachte, war in leuchtenden Farben ein Regenbogen aufgemalt. Unter dem Regenbogen wuchsen gelbe Narzissen, rote und lila Tulpen, in einem algengrünen Teich schwammen orangefarbene, schillernde Fische, deren einzelne Schuppen mit aufschäumendem, glitzerndem Material modelliert worden waren. Auf dem Rand des Teiches saß ein grasgrüner Frosch und setzte gerade dazu an, auf ein großes Seerosenblatt zu springen. Leuchtendgelb schien die Sonne in den prasselnden Regen.
Unwillkürlich verzog Babs den kleinen Mund zu einem Lächeln, als sie das lustige Gemälde sah.
Ihr Zimmer, indem beide Stirnseiten mit dem gleichen Regenbogenbild angemalt waren, teilte sie mit einem Mädchen in ihrem Alter, das keine Haare mehr auf dem Kopf hatte. Fürchterlich erschrak Babs sich, als sie das nackte Gesicht sah. Hilfesuchend fanden ihre Augen den Blick ihrer Mutter, die ihr beruhigend zunickte.
„Hallo!“ Freundlich begrüßte Lena das Mädchen, das müde in seinem Bett lag. Verhalten musterten dessen hellgrüne Augen das neu angekommene Mädchen. Neben dem Bett saß eine traurig blickende Frau, die wohl die Mutter des Mädchens war. Auf dreißig Jahre schätzte Lena sie, kinnlange schwarze Haare fielen zerzaust in ihre hoffnungslosen Augen.
„Hallo!“
„Das ist die Bettina! Bettina, das hier ist Babs!“ Stellte Vicky die beiden Mädchen einander vor.
Vorsichtig kam ein leises „Hallo“ aus Babs Mund.
„Hast du auch Leukämie?“ Forschend sah Bettina zu, wie Lena Babs in das große, weiße Bett legte.
Mit großen Augen sah Babs ihre Mutter an. Würde sie auch bald so aussehen, wie dieses Mädchen? Leicht nickte Lena mit dem Kopf, sie nahm die Hand ihrer Tochter
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