Engel Der Nacht
einbringen würde, und ich hatte schon genug Schwierigkeiten in meinem Leben. Kein Bedarf an weiteren. Wenn ich ihn ignorierte, würde er ja vielleicht aufhören, Gespräche anzufangen. Und dann würden wir Seite an Seite in Harmonie nebeneinandersitzen wie alle anderen Tischnachbarn im Raum.
»Und du riechst auch gut«, sagte Patch.
»Das nennt man Dusche.« Ich starrte stur geradeaus. Als er nicht antwortete, drehte ich mich zur Seite. »Seife. Shampoo. Heißes Wasser.«
»Nackt. Ich kenn mich aus.«
Ich machte den Mund auf, um das Thema zu wechseln, als die Klingel mich unterbrach.
»Steckt eure Bücher weg«, sagte Coach hinter seinem Tisch. »Ich teile jetzt einen Probe-Test aus, um euch für den echten am Freitag vorzubereiten.« Er blieb vor mir stehen, leckte seinen Finger an in dem Versuch, ein Blatt vom nächsten zu trennen. »Ich möchte, dass die nächste Viertelstunde Ruhe herrscht, während ihr die Fragen beantwortet. Dann sprechen wir über Kapitel sieben. Viel Glück.«
Ich arbeitete die ersten paar Fragen ab und beantwortete sie, indem ich auswendig gelernte Tatsachen von mir gab. Und wenn es sonst zu nichts nütze war, so lenkte es mich doch ab und schob den Zwischenfall von gestern Abend ebenso in den Hintergrund wie die Frage nach meiner geistigen Gesundheit, die irgendwo in meinem Hinterkopf herumspukte. Als ich eine Pause machte, um meine verkrampfte Schreibhand auszuschütteln, merkte ich, wie Patch sich zu mir herüberbeugte.
»Du siehst müde aus. Hattest du eine schlimme Nacht?«, flüsterte er.
»Ich habe dich in der Bibliothek gesehen.« Sorgfältig achtete ich darauf, dass mein Stift weiter über das Papier glitt und ich beschäftigt aussah.
»Das Highlight meines Abends.«
»Bist du mir gefolgt?«
Er legte den Kopf in den Nacken und lachte leise.
Ich probierte es auf anderem Wege. »Was wolltest du da?«
»Ein Buch ausleihen.«
Ich spürte Coachs Blick auf mir und widmete mich wieder dem Test. Nachdem ich ein paar weitere Fragen beantwortet hatte, warf ich einen verstohlenen Blick nach links. Überraschenderweise entdeckte ich, dass Patch mich bereits ansah. Er grinste.
Mein Herz machte einen unerwarteten Hüpfer, verwirrt über sein auf bizarre Weise attraktives Lächeln. Zu meinem Entsetzen war ich dermaßen erschüttert, dass ich den Stift fallen ließ. Er hüpfte ein paar Mal auf der Tischplatte auf, bevor er über die Kante rollte. Patch beugte sich nach unten, um ihn aufzuheben. Er hielt ihn mir auf der Handfläche hin, und ich musste mich darauf konzentrieren, seine Haut nicht zu berühren, als ich ihn zurücknahm.
»Nach der Bibliothek«, flüsterte ich, »wo bist du da hingegangen?«
»Warum?«
»Bist du mir gefolgt?«, fragte ich drängender.
»Du siehst ein bisschen gestresst aus, Nora. Was ist los?« Seine Augenbrauen hoben sich besorgt. Natürlich war das alles nur gespielt, denn tief in seinen schwarzen Augen funkelte es spöttisch.
» Bist du mir gefolgt?«
»Warum sollte ich dir folgen wollen?«
»Antworte auf die Frage.«
»Nora.« Die Warnung in Coachs Stimme holte mich zurück zu meinem Test, allerdings nicht für lange, denn ich konnte nicht anders, als darüber zu spekulieren, wie Patchs Antwort wohl ausgefallen wäre, und das brachte mich dazu, so weit wie möglich von ihm abrücken zu wollen. Auf die andere Seite des Klassenzimmers. Auf die andere Seite des Universums.
Coach blies seine Pfeife. »Die Zeit ist um. Gebt eure Tests nach vorn. Macht euch für Freitag auf ähnliche Fragen gefasst. Und jetzt«, er rieb sich die Hände, und das trockene Geräusch, das sich dabei ergab, ließ mich schaudern, »zur heutigen Lektion. Vee, möchten Sie vielleicht den Anfang machen?«
»S-e-x«, verkündete Vee.
Exakt in dem Augenblick klinkte ich mich wieder aus. Verfolgte Patch mich tatsächlich? War er das Gesicht hinter der Skimaske - wenn es überhaupt ein Gesicht hinter einer Skimaske gegeben hatte. Was wollte er? Ich schlang die Arme um mich, weil mir plötzlich sehr kalt war. Ich wollte mein altes Leben zurück, wollte, dass es wieder so wurde, wie es gewesen war, bevor Patch hineingeplatzt war.
Am Ende der Stunde hielt ich Patch auf. »Können wir reden?«
Er war schon aufgestanden, also setzte er sich auf die Tischkante. »Was gibt’s?«
»Ich weiß, dass du genauso ungern neben mir sitzt wie ich neben dir. Ich könnte mir vorstellen, dass Coach noch mal darüber nachdenkt, uns umzusetzen, wenn du mit ihm sprichst. Wenn du die
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