Engel der Schatten - 01 - Astrid Martini
es spöttisch zurück.
„Weil ich es nicht leiden kann, wenn man über mich und meine Zeit verfügt.“
Salome lachte hell und kalt auf. „Immer Herr der Lage, nicht wahr?“
„Ganz recht.“
„Bring mir mein Kleid“, rief sie ihrem Diener mit einem Blick über die Schulter zu. Dieser gehorchte und Salome erhob sich. Dann ließ sie sich das kostbare Gewand anlegen. Die meergrüne Seide legte sich sanft um ihre Schultern, umhüllte ihre Arme und schließlich ihren gesamten Körper.
Sie erwiderte Nicholas Blick mit leisem Spott.
22
Astrid Martini
Engel der Schatten
„Du scheinst alt und träge zu werden. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da hast du nicht genug von mir bekommen können, auch nicht, wenn du gerade auf Beutezug warst.“
Eine Antwort wartete sie nicht ab. Mit schnellen Schritten räumte sie das Feld, und in ihren Augen glomm Eiseskälte auf. Ich werde mir etwas einfallen lassen müssen, um mir seine Lust zu Eigen zu machen.
***
Cecile betrat das Krankenzimmer eines weinenden Mädchens. Ihr wurden die Mandeln entfernt, und nun hatte sie Schmerzen und riesigen Durst.
Cecile brachte ihr ein Glas Tee, hüllte sie behutsam in die Decken ein und versprach,
ihr am nächsten Morgen ein Eis zu bringen.
Die Tür zum Krankenzimmer öffnete sich und die Oberschwester trat ein. „Schwester Cecile, der Oberarzt möchte sie sprechen. Bitte kommen Sie doch in sein Büro, wenn
Sie hier fertig sind.“
Cecile nickte, und ein wenig später klopfte sie an die Tür des Arztes und wurde hineingebeten.
Das Neonlicht im Raum war blendend hell und keineswegs dazu angetan, dem Teint zu schmeicheln. Cecile rückte selbstvergessen ihr Schwesternhäubchen zurecht und blinzelte.
„Schwester Cecile, gut, dass Sie da sind“, wurde sie von der sonoren Stimme des Arztes, einem Mann so um die Sechzig, begrüßt. Cecile mochte ihn. Er hatte etwas so väterlich Beruhigendes und fand auch in der größten Not immer noch ein nettes Wort. Außerdem gehörte er zu den ausgeglichensten Menschen, die Cecile jemals begegnet waren.
„Ich muss Ihnen etwas Trauriges mitteilen.“ Er räusperte sich und fuhr mit der Hand in seinen schneeweißen Bart. Dann rückte er seine Brille gerade, schaute sie ernst an und fuhr fort: „Es fällt mir nicht leicht, aber da Sie immer sehr mit dem Herzen dabei sind und sich oftmals sogar in ihrer Freizeit aufopferungsvoll kümmern, ist es mir wichtig, dass Sie es von mir erfahren.“
23
Astrid Martini
Engel der Schatten
Cecile blickte ihn erschrocken an.
Was war passiert?
„Ich weiß, dass Sam Bochon in den letzten Wochen für Sie mehr Freund als Patient war. Umso mehr trifft es mich, Ihnen mitteilen zu müssen, dass sein Herz vor ein paar Minuten leider aufgehört hat zu schlagen.“
Eine eisige Hand legte sich um Ceciles Herz.
Sie begann zu zittern.
Den Luftröhrenschnitt vor ein paar Wochen hatte er prima überstanden, doch leider folgte ein Herzinfarkt, der seinen Krankenhausaufenthalt verlängerte.
Cecile hatte sich rührend um ihn gekümmert. Und da sie den Mann aufrichtig mochte, hatte sie täglich auch in ihrer Freizeit und an dienstfreien Tagen bei ihm gesessen, mit ihm über Gott und die Welt geplaudert und ihn von Tag zu Tag mehr in
ihr Herz geschlossen.
Da sie beide eine besondere Vorliebe für Kartenspiele – insbesondere Rommé – hatten, war es ihnen zu einer liebgewordenen Gewohnheit geworden, sich täglich ein
Match zu liefern und fochten schließlich sogar stundenlange Duelle aus.
Ja und dann gesellte sich auch Agnes, die sich zunehmend mit Cecile angefreundet hatte, dazu. Sie mochte dieses Spiel ebenfalls und so hatten die drei sogar schon Pläne für feste Romméabende – für die Zeit nach Sams Krankenhausaufenthalt – eingeplant.
Ceciles Lippen begannen zu beben. Sam sollte nun plötzlich nicht mehr sein?
Heiße Tränen schossen ihr in die Augen. Sie hatte einen Freund verloren.
Einen guten Freund!
Als sie wenig später mit gesenktem Kopf und verquollenen Augen aus dem Büro des Oberarztes kam, lief ihr Agnes über den Weg.
Sie bemerkte sofort, dass mit der Freundin etwas nicht in Ordnung war. „Was ist passiert?“
Schluchzend begann Cecile zu berichten, und dann lagen sie sich in den Armen und trauerten gemeinsam.
***
24
Astrid Martini
Engel der Schatten
Als Nicholas aus dem Schattenreich zurück zur Erde kehrte, spürte er sofort, das Cecile anders war als sonst. Es war ein paar Tage her, seit er sie zuletzt gesehen hatte; umso
Weitere Kostenlose Bücher