Engel der Schatten - 01 - Astrid Martini
nächsten drei Wochen. In diesen Wochen wusste Cecile nie, wann sie ihn sehen würde. Und auch nicht, wie lange er blieb. Manchmal sah sie ihn ein paar Tage nicht, dann stand er plötzlich wieder vor ihrer Tür wie ein Phantom, das urplötzlich auftauchte und so geheimnisvoll und rasch wieder verschwand, wie es gekommen war.
Wenn er zu ihr kam, schien er nie mehr als ein paar Stunden Zeit zu haben. Er war nicht daran interessiert, bei ihr zu übernachteten, hatte kein Bedürfnis nach irgendwelchen Unternehmungen und gemeinsame Mahlzeiten reizten ihn ebenfalls nicht. Cecile hatte keine Ahnung, was er tat, wenn er nicht bei ihr war. Sie wusste nicht, welchen Beruf er ausübte, wohin er ging, und was er dachte.
Sie wusste nichts, außer dass er ein begnadeter Liebhaber und wunderschön war. Sie nahm sich oft vor, ihn darauf anzusprechen, ihm all die Fragen zu stellen, die ihr auf der
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Seele brannten. Bei einem Blick in seine Augen verschwanden jedoch diese Vorsätze komplett aus ihrem Gedächtnis.
Wenn er bei ihr war, war sie selig. War er nicht da, lief ein gewaltiges Kribbeln der Sehnsucht durch ihren Körper. Ihr Herz pochte gewaltig, wenn sie nur an ihn dachte. Und wenn sie sich sein Gesicht vorstellte, füllte sich ihr Inneres mit warmer Glückseligkeit. In den Nächten lag sie in ihrem Bett, sehnte ihn herbei und fantasierte, er läge neben ihr. Warm, sinnlich, stark.
Cecile stürzte sich kopfüber in diese Affäre, ließ alle anderen Dinge außen vor und begann sich in ihrer Freizeit ausschließlich auf ihn zu konzentrieren.
Ihren Freunden und Kollegen erzählte sich nichts von Nicholas. Sie wollte dieses süße Geheimnis mit niemandem teilen.
Es sollte nur ihr gehören. Verlockend, sinnlich und kostbar …
***
Milchig weißes, schattenhaftes Zwielicht begleitete Nicholas, als er die labyrinthähnlichen Gänge hinunterlief, die zum Herz des Schattenreiches führten. Die Wände waren glatt, wie poliert, während der Boden mit unzähligen Verzierungen versehen war, bedeckt von einer dünnen Schicht aus rotem Staub.
Der Gang, dem Nicholas folgte, führte in einen sechseckigen Saal. Auch hier herrschte bleiches Zwielicht, welches sich spiralförmig nach oben bis unter die hoch geschwungene Kuppel zog.
Die Wände des Saales waren auch hier glänzend glatt und hatten die gleiche Farbe wie die grauen Nebel, die dem Raum eine mystisch irreale Atmosphäre verliehen.
In der Mitte des Saales befand sich eine große blutrote Kugel, die auf einem Podest aus Stein lag und in allen erdenklichen Rottönen schimmerte.
Die Kugel sandte einen ungewöhnlichen Glanz aus und schickte rötliche Flammen in den Raum, die zischend mit den grauen Schattennebeln verschmolzen und sich schließlich in Nichts auflösten. Ringsum, an den Wänden entlang, standen onyxschwarze Bänke mit hohen Lehnen, in deren glatten Flächen sich die rote Kugel widerspiegelte.
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Da dieser Saal nur zur Versammlung der Oberen des Schattenreiches genutzt wurde, befand sich jetzt, außer Nicholas, niemand dort. Ansonsten diente der Saal lediglich als Entree. Mit geschmeidigen Bewegungen trat er auf die Kugel zu, legte seine Hand auf die glatte Oberfläche und aktivierte einen Mechanismus, der die Kugel in ein tiefes Schwarz verwandelte und sie gleichzeitig in die Tiefe sinken ließ. Eine Treppe, die steil hinabführte, wurde sichtbar. Schwarzer Nebel kroch empor. Nicholas schritt die Stufen hinab, und kaum war er unten angekommen, bewegte sich die Kugel in ihre ursprüngliche Position zurück.
Er durchschritt ein riesiges Gewölbe. Das blutige Licht der Fackeln, die links und rechts in den Steinwänden eingelassen waren, flackerte wild. Sie gaben unzählige winzigkleine Fünkchen ab, die kurz aufzüngelten und schließlich verpufften.
Es herrschte ein reges Treiben, obwohl eine Vielzahl der Bewohner des
Schattenreiches – gefallene Engel und Dämonen – auf der Erde unterwegs waren, um ihr Unwesen zu treiben.
Rote Nebelschwaden waberten träge durch die Ecken und Winkel. Sie gaben der
gesamten Atmosphäre etwas Teuflisches.
Mit einem amüsierten Grinsen in den Mundwinkeln beobachtete Nicholas, wie Gabriel, ein weiterer gefallener Engel, sich mit drei jungen Frauen amüsierte, die er wohl gerade erst ins Schattenreich gelockt hatte, denn ihre Aura war noch nicht komplett finster. Ihre Seelen waren noch warm, steckten mitten in der Umwandlungsphase und würden noch eine
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