Engel der Verdammten (German Edition)
auch nur, dass sie eine Nutte war, die Ileana hieß, und dass sie nur schlecht Deutsch konnte. Ich tippe auf irgendwas Russisches, aber mehr weiß ich nicht. Sie können sich ja mal mit Tanja unterhalten. Die ist gerade mit einem Kerl oben, müsste aber bald runterkommen. Ich hab die beiden Bräute ein paar Mal zusammen gesehen. Vielleicht hat sie ihr was erzählt.«
Mehr war nicht aus ihm rauszubekommen, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als auf Tanja zu warten.
Es war gegen eins, als sie sich vom Kiez in Richtung Eppendorf aufmachten. Das Gespräch mit Tanja hatte sie wenigstens einen kleinen Schritt weitergebracht. Sie hatte ihnen sagen können, dass Ileana einundzwanzig Jahre alt gewesen war und seit mehr als drei Jahren in Hamburg anschaffte. Sie stammte aus der Republik Moldawien. Ihren Nachnamen und eine Adresse wusste Tanja allerdings auch nicht. Und auch auf die Frage nach ihrem Zuhälter konnte sie nur mit Vermutungen dienen.
»Da war auf alle Fälle ein Kerl«, hatte Tanja gesagt. »Einer, vor dem sie ziemlich Schiss hatte. Sie hatte überhaupt riesig Angst. Ich hab sie einmal darauf angesprochen, aber sie wollte nicht darüber reden. Ich denke, er ist nicht gerade zart mit ihr umgesprungen und hat ihr wohl auch verboten, überhaupt mit jemandem zu reden. Wobei sie eh sehr schlecht Deutsch gesprochen hat.«
»Und, gehen wir jetzt essen?«, drängte Sönke, doch Sabine wollte zuerst die Gerichtsmedizinerin besuchen.
»Pass auf«, schlug sie vor. »Wie wäre es, wenn du Mittag essen gehst und ich derweil bei der Obduktion zusehe?«
Sönke wand sich. »Das wäre nicht sehr fair.«
»Wir müssen nicht beide dabei sein. Lass es dir ruhig schmecken. Ich habe sowieso keinen Hunger.«
Der Kriminalobermeister beugte sich zu ihr hinüber und hauchte einen Kuss auf ihre Wange. »Du bist schon ein Pfundskerl, mien Deern! Dank dir. Soll ich dir ein Heringsbrötchen oder so was mitbringen?«
»Nein, danke. Leichen und Heringsbrötchen passen, glaube ich, nicht so gut zusammen.«
»Das ist Geschmacksache und kommt auf die Reihenfolge an«, gab Sönke mit einem Grinsen zurück. Sabine knuffte ihn in den Arm.
»Mach, dass du fortkommst! Ich ruf dich an, wenn du gefahrlos wieder herkommen kannst.«
»Lass dir Zeit«, meinte Sönke und fuhr davon, während Sabine die Stufen zur Rechtsmedizin hinaufstieg und sich am Empfang meldete.
»Hat Dr. Lichtenberg schon mit der Sektion der weiblichen Leiche begonnen, die gestern Nacht auf dem Friedhof Ohlsdorf gefunden wurde?«
Die Empfangsdame sah auf das Blatt, das auf ihrem Klemmbrett befestigt war, und schüttelte dann den Kopf. »Sie ist erst um drei dran. Es hat sich heute alles verschoben. Dr. Lichtenberg wurde zu einem tödlichen Verkehrsunfall mit mehreren Opfern gerufen.« Sie hob entschuldigend die Schultern. »Möchten Sie warten? Soll ich Ihnen einen Kaffee bringen?«
Sabine lehnte ab. Was sollte sie in den zwei Stunden tun? Zum Präsidium zurückzufahren, lohnte sich nicht. Was dann? Sie dachte an das kleine Mädchen, das der Vampir nachts auf der Elbchaussee gefunden hatte. Vielleicht sollte sie mal nachsehen, wie es der Kleinen ging?
Ja, das war nicht ihr Fall und ging sie nichts mehr an, doch wer konnte schon sagen, mit was für einem Verbrechen die Sache zusammenhing. Normal war es jedenfalls nicht, dass ein so kleines Kind verloren ging und niemand es als vermisst meldete.
Sabine rief Sönke an. »Na, beim wievielten Hering bist du?«
»Ich habe erst ein Krabbenbrötchen gegessen«, beschwerte er sich. »Du bist doch nicht etwa schon fertig?«
»Verschoben auf drei Uhr«, sagte sie.
»Schiete«, fluchte Sönke, der sicher fürchtete, sich nicht noch einmal drücken zu können.
»Dann iss du mal noch ein Brötchen und bring mir auch eins mit«, sagte Sabine. »Und dann komm wieder her, wir fahren nach Altona.«
»Warum?«
»Weil ich dort ein kleines Mädchen besuchen möchte.«
Sönke brummte etwas mit vollem Mund und legte auf.
Beim Kinderschutzhaus in Altona öffnete ihnen die Kinderpsychologin, mit der Sabine schon einmal telefoniert hatte, die Tür und brachte sie in ein Spielzimmer, in dem die Kleine allein an einem Kindertisch saß und auf eine unberührte Schale mit Pudding starrte.
»Hat sie inzwischen gesprochen?«, erkundigte sich die Kommissarin. »Oder ist das Kind vielleicht stumm?«
Die Psychologin schüttelte den Kopf. »Nein, nur traumatisiert. Wir glauben, dass ihr Name Lan ist. Die wenigen Brocken, die sie
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