Engel der Verdammten (German Edition)
noch gelebt, und er hatte sie erst dann gebissen? Was war schiefgegangen? Hatte er die Beherrschung verloren und sie in seiner Gier getötet? Und dann versucht, das Verbrechen zu verschleiern, um es dem Frauenmörder mit in die Schuhe zu schieben? Warum aber hatte er sie dann in den Garten gebracht?
Sabine dachte über die anderen Fälle nach, und es wurde ihr mulmig. Das passte alles nicht zusammen.
Sie sah die Rechtsmedizinerin an. »Ich komme mit Ihnen, wenn Sie nichts dagegen haben. Werden Sie Fjodora gleich obduzieren?«
Dr. Lichtenberg nickte. »Ja, diese Mordserie hat oberste Priorität.«
»Dann gehen Sie also davon aus, dass es derselbe Täter war, der auch die beiden anderen Frauen ermordet hat?«
Dr. Lichtenberg zog ein wenig die Brauen zusammen und betrachtete die Kommissarin aufmerksam. »Natürlich, Sie etwa nicht? Gibt es etwas, das mir entgangen ist?«
Sabine schüttelte den Kopf. »Sie sagten doch, dass Sie sich vor der Autopsie nicht festlegen.«
Die Rechtsmedizinerin lachte. »Touché! Jetzt haben Sie mich erwischt. Es ist gar nicht so leicht, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, wenn sie sich einem so aufdrängen. Gut, dann lassen Sie uns ins Institut fahren und nachsehen, ob wir mit unseren Vermutungen richtigliegen.«
Sabine suchte Thomas auf, der noch am Tatort bleiben wollte, bis die Spurensicherung fertig war. Er hatte nichts dagegen, dass sie nach Eppendorf mitfuhr. Robert versuchte noch immer, Frau Fichtner irgendetwas Neues zu entlocken. Danach würde er sich den Sohn vornehmen. Am Nachmittag wollten sie sich dann im Präsidium treffen und die bisherigen Ergebnisse besprechen. Bis dahin sollten Sönke und Uwe auch mit ihrem Verhör der Reißenbergers fertig sein, die heute nach Alsterdorf bestellt worden waren.
Dr. Lichtenberg ging ruhig und routiniert vor. Da bei staatsanwaltlich angeordneten Sektionen immer zwei Ärzte die Autopsie durchführen mussten, stand ihr heute ein jüngerer Kollege zur Seite, den die Kommissarin noch nicht kannte. Er stellte sich als Dr. Hübener vor. Sabine stand etwas abseits und beobachtete die Obduktion schweigend. Sie hörte genau zu, was Dr. Lichtenberg für das spätere Protokoll in das Mikrofon ihres Aufnahmegeräts sprach. Nur einmal, als die Ärztin von mehreren unsachgemäß ausgeführten Abtreibungen sprach, zog sie ein wenig scharf die Luft ein.
»Es gibt verschieden alte Vernarbungen, die sich überlagern. Ich denke, wir können von mindestens fünf ausgehen. Vermutlich wäre in diesem Zustand keine weitere Schwangerschaft mehr möglich gewesen.«
»Fünf Abtreibungen?«, wiederholte die Kommissarin. Die Rechtsmedizinerin sah auf.
»Mindestens, vielleicht sogar mehr. Ausgetragen hat sie keines der Kinder. Der Geburtskanal wurde nicht erweitert.«
»Wurde sie vor ihrem Tod vergewaltigt?«
Dr. Lichtenberg sah sich die Tote noch einmal genau an.
»Glaube ich nicht. An den Handgelenken gibt es zwar frische und auch ältere Hämatome, doch an der Vagina sehe ich keine Verletzungen. Es ist kein frisches Sperma vorhanden. Dennoch hatte sie in den letzten achtundvierzig Stunden Geschlechtsverkehr. Es könnte einvernehmlich gewesen sein – oder sie hat sich nicht gewehrt.«
»Ein Freund? Wir werden Frau Fichtner danach fragen.«
»Möglich, oder einer der Männer im Haus«, vermutete die Ärztin. »Das sollten wir über eine DNA -Probe abklären.«
Die Kommissarin nickte. »Ich bin mir sicher, dass unsere Leute von der Spurensicherung entsprechende Proben im Haus genommen haben.«
Sie schwiegen wieder, während Dr. Lichtenberg die inneren Organe untersuchte, eines nach dem anderen entnahm, wog und Proben für die Histologie entnahm. Dann legte sie die Organe wieder an ihren Platz. Ihr Kollege schloss mit einem schwarzen Faden den langen, y-förmigen Schnitt.
»Wie alt, schätzen Sie, ist unser Opfer geworden? Sie war doch höchstens dreißig, oder?«
Die Ärztin wiegte den Kopf hin und her. »Ich würde sagen, jünger, obgleich ihre Gesichtszüge sie ein wenig älter erscheinen lassen. Vermutlich war sie zwischen fünfundzwanzig und achtundzwanzig Jahre alt. Jedenfalls hat sie in ihrem Leben schon viel durchgemacht.«
Sabine nickte. Der Gedanke war ihr auch schon gekommen. Es entsprach ganz dem bisherigen Opferprofil.
»Und wie ist nun Ihre endgültige Beurteilung der Todesursache?«, erkundigte sich Sabine und wusste nicht recht, auf was für eine Antwort sie hoffen sollte.
»Sie meinen in Bezug auf die Tatwaffe?«
Sabine nickte.
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