Engel der Verdammten (German Edition)
»Die Tatwaffe und die Hand, die sie geführt hat.«
Dr. Lichtenberg überlegte kurz. »Die tödlichen Halsverletzungen aller drei Frauen stimmen weitgehend überein, sodass sie wahrscheinlich vom selben Täter mit derselben Waffe ausgeführt wurden. Die Klinge ist scharf und lang, hat aber eventuell eine Kerbe oder so etwas. Zumindest ist die Wunde bei allen drei Opfern ein wenig ausgefranst. Außerdem hat das letzte Opfer noch diese beiden punktförmigen Wunden, die ein wenig wie Einstiche aussehen. Allerdings größer als Injektionen. Sie waren bei Eintritt des Todes bereits verkrustet, sodass sie einige Stunden vorher entstanden sein müssen.«
»Könnte es ein Schlangenbiss sein?«, schlug der junge Kollege vor, der bisher recht schweigsam gewesen war.
Gar nicht so weit daneben, dachte die Kommissarin, hütete sich aber, das laut auszusprechen.
»Ein Schlangenbiss?«, wiederholte Dr. Lichtenberg. »Nein, das wohl nicht. Es gibt im umgebenden Gewebe keine Spuren von Gift.«
»Und doch ist es direkt um diese Bissstelle herum unnatürlich verändert«, widersprach Dr. Hübener und sah die erfahrenere Kollegin herausfordernd an.
Die Kommissarin sagte nichts. Der junge Mann wollte sich ein wenig aufspielen und seine Grenzen testen, mehr nicht, und dennoch kam er damit der Wahrheit gefährlich nahe. Unwillkürlich schob Sabine den Kragen ihrer Bluse ein wenig höher, um die beiden Einstichlöcher zu verbergen, die denen des Opfers so verblüffend ähnelten.
»Ich würde das nicht als Bisswunde deklarieren«, widersprach Dr. Lichtenberg kühl, und Sabine war ihr für diese falsche Einschätzung dankbar.
Als Dr. Hübener die Tote mit einem Tuch bedeckte und in eines der Kühlfächer schob, verabschiedete sich Sabine von den beiden Ärzten, um ins Präsidium zurückzukehren.
Kapitel 12
Die Spur des Mörders
»Und, wie war dein Vormittag?«, erkundigte sich die Kommissarin bei ihrem Kollegen, nachdem sie Thomas Ohlendorf von der Autopsie berichtet hatte.
Sönke ließ sich mit seiner Antwort Zeit. Er kochte Tee, dabei durfte man nicht stören! Erst als er zwei Becher mit seinem starken Gebräu gefüllt und reichlich Kandis und Sahne zugegeben hatte, war er bereit, seiner Kollegin zu antworten. Er schob ihr einen der Becher hin und machte es sich dann wieder auf seinem Schreibtischstuhl bequem.
»Hatte viel Spaß mit deinem Exmann.«
Sabine zog eine Grimasse. »Höre ich da einen Hauch Sarkasmus in deiner Stimme? Der Herr Anwalt wird sich doch nicht etwa danebenbenommen haben?«
Sönke schnaubte angewidert. »Aalglatt und arrogant. Ich hätte kotzen können! Wie konntest du nur so einen Kerl heiraten?«
Sabine nippte mit versonnener Miene an ihrem Tee. »Ja, das habe ich mich auch oft gefragt. Julia ist das einzig Gute, das aus dieser Ehe hervorgegangen ist, und ich rechne ihm das nicht als seinen Verdienst an! Nur ein paar unverdorbene Gene, die rein zufällig an die Reihe kamen.«
Sönke lächelte. »Ich sehe, es brodelt noch immer ganz dicht unter der Oberfläche. Es war also doch eine weitsichtige Entscheidung unseres verehrten Gruppenchefs, dass er mir Uwe an die Seite gestellt hat.«
Sabine nickte. »Ja, ich vermute, ich wäre ihm bereits nach wenigen Minuten an die Kehle gegangen, und wir hätten nun ein paar Klagen am Hals.«
Sönke gluckste. »Nette Vorstellung, und ich gebe dir in jedem Punkt recht. Es fiel selbst mir schwer, bei seinen dreisten Lügen ruhig zu bleiben.«
»Na, dann erzähl mal«, forderte ihn die Kommissarin auf.
Der Bericht ihres Kollegen war ein wenig verworren und mit manch deftigem Kommentar versehen, wobei sie nicht alle der plattdeutschen Ausdrücke verstand. Es überraschte sie nicht im Mindesten, dass Jens mit allen anwaltlichen Schlichen versucht hatte, den Reißenbergers eine weiße Weste zu schneidern. Das war schließlich seine Aufgabe, und er verstand etwas von seinem Job. Muss er auch, bei den Stundensätzen, die er verlangt, dachte Sabine.
Jedenfalls hatte Jens Thorne einen Arbeitsvertrag mit der verblichenen Haushaltshilfe Yulia Siderenko aus der Tasche gezogen, von dem Sönke wohl mit Recht behauptete, die Druckerschwärze sei noch nicht einmal richtig trocken gewesen. Knapp vier Wochen sollte sie im Haushalt der Reißenbergers beschäftigt gewesen sein – mit mustergültigen Arbeits- und Gehaltsbedingungen. Bedauerlicherweise waren sie leider noch nicht dazu gekommen, sie ordnungsgemäß anzumelden, damit das mit den Steuern und den Sozialversicherungen
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