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Engel der Verdammten

Engel der Verdammten

Titel: Engel der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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als die Stufen zum Himmel sich mir hätten öffnen oder wenigstens die Tore zur Hölle sich mir weit hätten auftun sollen.
    Halte dich so lange lebendig, bis du verstehst, sagte ich mir.
    Es war aufregend! Im Moment war es vielleicht das einzig wirklich Aufregende, das ich mir vorstellen konnte.
    Am nächsten Abend schuf ich mir meine vollständige Gestalt so blitzschnell, als habe jemand einen modernen Lichtschalter betätigt, und ich stand auf einem Gehweg in Brooklyn. Für sterbliche Augen unsichtbar, aber in eben der Gestalt, die sich schnell genug materialisieren würde.
    Ich wollte es so. Und dennoch, aus eigenem Antrieb zu erscheinen? Ich konnte dem noch nicht ganz trauen. Aber heute Nacht würde ich meine Suche nach der Wahrheit in Angriff nehmen.
    Brooklyn also noch einmal, wieder das Haus des Rabbi und seiner Familie, und Gregorys Wagen schob sich schon an den Bordstein.
    Unsichtbar nahte ich mich Gregory, wickelte mich beinahe um ihn, wobei ich vermied, ihn tatsächlich zu berühren, aber ich begleitete ihn die schmale Gasse hinab und berührte fast seine Finger, als er das kleine Tor öffnete.
    Als sich die Tür öffnete, schlüpfte ich mit ihm voller Schwung und furchtlos hinein, sog dabei den Geruch seiner Haut ein und betrachtete ihn so gründlich wie nie zuvor.

    Ich glaube, ich schwelgte einen Moment darin, unsichtbar zu sein, obwohl ich es für gewöhnlich hasse, und ich rückte nä-
    her, um zu sehen, wie gepflegt und kräftig dieser Mann doch war, die Ausstrahlung eines Herrschers ging von ihm aus.
    Die schwarzen Augen wiesen keinerlei Fältchen auf, die von Müdigkeit oder Affektiertheit zeugten, und glänzten ungewöhnlich hell in seinem Gesicht, und besonders sein Mund war sehr schön, schöner, als ich zuvor bemerkt hatte.
    Er trug die schlichte Kleidung dieser Zeit, jedoch edel und teuer, einen langen Mantel aus leichter, weicher Wolle, darunter feinstes Leinen und um den Hals den Schal vom Vortag.
    Ich begab mich in die hinterste linke Ecke des Zimmers - ein wesentlich besserer Standort als der am Abend zuvor, denn ich stand nun sehr weit links von den beiden Männern. Die trüben Lampen neben und über ihnen warfen ein kleines Rund, das ihnen eine ihnen unwillkommene Nähe aufzwang.
    Da sich der alte Mann und Gregory gegenüberstanden, konnte ich beider Profil sehen, wie auch die Truhe, die schimmernd auf dem Pult stand, von dem heute all die heiligen Bücher entfernt worden waren. Zweifellos würde es nach dieser Transaktion durch tausend Worte und Gesten und bei Kerzenlicht einer rituellen Reinigung unterzogen werden. Aber was bedeutete mir das?
    Meine Gegenwart versetzte die Luft im Zimmer in Bewegung.
    In kürzester Zeit würde der alte Mann Bescheid wissen. Ich musste still stehen und der Verlockung meiner wachsenden Kraft widerstehen. Ich zog es vor, durchscheinend und damit flink zu sein, anstatt niedergeschmettert zu werden. Lieber huschte ich durch die feste Wand, als mich vor Schrecken und Schmerz aufzulösen, so wie es mir in der vergangenen Nacht ergangen war.
    Ich stand an der Außenwand des Raumes, an eine hölzerne Tür gelehnt, die unbenutzt schien, denn der Messinggriff war staubbedeckt. Ich konnte meine Umrisse erkennen, meine verschränkten Arme, meine Schuhe. Ich befahl, dass sich um mich Kleider wie die Gregorys formen sollten, soweit ich deren Einzelheiten erkennen konnte.
    Der Rabbi betrachtete, auf seine Ellenbogen gestützt, die Truhe vor ihm auf dem Pult, und die schwarzen Ketten wirkten abstoßend vor der goldenen Plattierung.
    Dass er den Gebeinen so nahe war, erzeugte keinerlei besonderes Gefühl in mir. Auch nicht, dass die beiden darüber sprachen oder sich um sie herumbewegten oder die Truhe eindringlich anschauten. Ich nahm mir vor, mir das gut zu merken.
    Benimm dich, als seist du ein Mensch und als sei es dir wichtig, am Leben zu bleiben. Sei auf der Hut wie ein Mensch.
    Nimm dir Zeit.
    Ich amüsierte mich ein wenig darüber, dass ich mir selbst Ratschläge gab. Aber dann richtete ich mich tief in meiner Ecke ein, jenseits des Scheins des Lichts, damit es nicht einmal auf meine halb durchsichtigen Schuhe fallen oder ein unvermeidliches Glitzern in meinen Augen hervorrufen konnte.
    Versuch's nur, alter Mann! Ich war darauf vorbereitet. Ich war auf alles und jedes vorbereitet.
    Eifrig trat Gregory ins Licht, den Blick direkt auf die Truhe gerichtet. Der Alte starrte die goldene Plattierung, die eisernen Ketten an und benahm sich, als sei Gregory gar nicht

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