Engel der Vergessenen
aufblühenden Lotos‹, setzte sich hinter einen der kleinen Tische mit den bemalten Platten und hörte sich sagen, als spräche ein völlig Fremder: »Bringen Sie mir, was Sie wollen.«
Tu-dong-Fu machte eine tiefe, ehrfürchtige Verbeugung und sagte: »Meine unwürdige, schlechte Küche wird versuchen, Sie zufriedenzustellen …«
17.15 Uhr nach Neu-Delhi, dann weiter nach München …
Der brüllende Siem Mong in dem hölzernen Foltergerät.
Was war in Nongkai los, daß jemand ein so großes Interesse daran hatte, die deutsche Krankenschwester Bettina Berndorf von dort fernzuhalten? Für 10.000 englische Pfund!
Tu-dong-Fu servierte als Vorspeise eine Trepangsuppe. »Meine unwürdige schlechte Küche bereitet eine Frühlingsrolle vor«, sagte er.
Bettina nickte. Mechanisch löffelte sie die Suppe, aber nach dem dritten Löffel würgte sie wieder der Ekel. Sie lehnte den Kopf an die Wand und starrte in die kunstvollen Papierlaternen, die von der Decke hingen. Kleine leuchtende Pagoden. Dächer wie das Dach vom ›Haus der sieben Sünden‹.
Was würde geschehen, wenn sie sofort die Polizei unterrichtete? Die Beobachtungen, die sie dort mitteilen könnte, würden wohl kaum verwertbare Anhaltspunkte ergeben. Ein schwarzer Buick, Fahrt durch ein Villenviertel, dann Reisfelder, die Ohnmacht, Erwachen in einem Innenhof. Und wie Hanyan ausgesehen hatte, war für einen Europäer schwierig zu beschreiben. Er sah aus wie tausend andere auf den Straßen. Wenn er den Anzug wechseln würde, könnte er sich jetzt neben sie setzen – sie würde ihn nicht erkennen. Außerdem: Wer würde ihr das glauben, was sie gesehen hatte?
Sie konnte nichts essen, bezahlte dem betrübt dienernden Tu-dong-Fu die unverzehrte Mahlzeit und fühlte sich erst frei, als sie sich in ihrem Hotelzimmer eingeschlossen hatte.
Hier allerdings vollzog sich mit ihr eine Wandlung. Hanyan hatte die richtige Idee gehabt, als er nach dem Studium von Bettinas Personalakten an Taikky funkte: »Ich bin für Sicherheit. Es verschwinden so viele junge Damen …« Aber Taikky wollte lieber 10.000 Pfund opfern. Er hatte an Dr. Haller genug, und er war, im Gegensatz zu seinen Geschäftsfreunden, kein potentieller Mörder. Er war nur ein Gauner, der kandierte Früchte liebte.
Bettina flog nicht um 17.15 Uhr nach Neu-Delhi.
Sie flog morgens um neun Uhr – wie abgesprochen – mit einer Regierungsmaschine nach Lashio und von dort weiter in den Dschungel.
Um vierzehn Uhr landete der kleine Hubschrauber auf dem holprigen, dreckigen Flugplatz von Homalin.
Vor dem Stationsgebäude, an den Jeep der Leprakolonie Nongkai gelehnt, wartete Dr. Karipuri auf sie.
Seit sieben Uhr früh stand Dr. Haller am Operationstisch und amputierte.
Es war eine Arbeit fast wie in den Anfängen der Chirurgie. Der Krankenpfleger Pala und Siri hatten eine halbe Stunde vorher den Operationsraum steril gemacht, die Kachelwände – ja, die gab es wirklich hier – mit einer Lösung aus Zephirol abgewaschen und die Instrumente in eine Sagrotanlösung gelegt. Daß es diese Mittel in Nongkai gab, verwunderte Haller am meisten. Er las die Datumsangabe auf den Packungen und hob resignierend die Schultern. Die Medikamente waren zum Teil fünf oder sechs Jahre alt und stammten aus einer Lieferung von Caritas-Spenden aus Deutschland. Ob die Mittel nach so langer unsachgemäßer Lagerung in diesem mörderischen Dschungelklima noch wirksam sein würden, konnte Haller nicht beurteilen. »Versuchen wir es«, hatte er zu Siri gesagt. »Gottvertrauen und Glaube an die chemische Industrie haben schon vielen geholfen.«
Sie schrubbten den OP-Tisch, ordneten die aus der Sagrotanlösung geholten nassen Instrumente auf ein steriles Tuch und sammelten aus den verschiedenen Schränken ein, was an Narkosematerial noch vorhanden war.
Der erste Überblick war entmutigend. Ein paar Flaschen mit Äther, zwei Zylinder Cyclopropan, zwanzig Ampullen Evipan, zwei Tropfflaschen Vinydan. Das war alles. Dr. Haller sah Pala entgeistert an. »Womit hat Dr. Karipuri narkotisiert, wenn er operierte?« fragte er.
Pala verzog den breiten Mund. »Er gab ein paar Tropfen Äther zur Einleitung und betäubte dann mit einem Gummihammer. Hier …« Er ging zu einer Schublade, holte einen ziemlich großen Hammer mit einem Hartgummikopf heraus und schwang ihn wie eine Keule. »Beste Narkose, Doktor.«
»Ist Coramin hier? Veritol? Lobelin?«
»Vielleicht«, meine Pala vorsichtig.
»Was unternahm man, wenn es zu
Weitere Kostenlose Bücher