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Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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zuschauen. Eine kranke Welt? Sicherlich, aber immerhin bringt das nicht zu verachtende zweihundert Dollar monatlich ein. Dazu braucht sich Jean nicht zu Sex mit Fremden herzugeben oder sich mit anderen Stripperinnen auf der Bühne zu produzieren. Jean war entschieden für das Neue. Sie sah darin einen Fortschritt für die Frauen.
    »Könnte Jessica auch mehrere hundert Dollar pro Woche damit verdient haben?«
    Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Sicherlich nicht. Sie war erst seit ein paar Monaten dabei und hatte nicht viele Abonnenten. Sie riss sich auch kein Bein aus, um zu unterhalten, verstehen Sie. Die meisten Mädchen schauspielern. Sie dagegen zog zwar ab und zu ihr Hemd über den Kopf – das muss man tun, sonst fliegt man raus –, aber sie mochte das eigentlich nicht. Und Sex vor der Kamera schon gar nicht, das kann ich mir nicht vorstellen. Sie wollte sowieso damit aufhören, sagte sie, und zum Songschreiben zurückkehren. Sie machte wirklich ein Geheimnis daraus. Außer mir wusste keiner davon.«
    »Welchen Kontakt haben Sie zu den Männern, die Ihre Internetseite abonnieren?«
    »Nur E-Mail«, sagte Jean.
    »Die Kunden haben keine Möglichkeit, an Ihre Adresse zu kommen?«
    »Nur wenn man ihnen die Adresse gibt.«
    »Hat Jessica irgendwann Andeutungen gemacht, dass sie das getan hat? Könnte sie zu manchen ihrer Abonnenten einen besonderen Kontakt gehabt haben?«
    »Wie ich schon sagte, sie war nicht hundertprozentig dafür. Sie brauchte einfach Geld. Aber sie hatte ihren Stolz. Sie hätte nie etwas getan, für das sie sich nachher hätte schämen müssen. Jedenfalls nicht, solange sie halbwegs nüchtern war.«
    »An dem Abend waren Sie und Jessica aber ziemlich betrunken, oder?«
    Jean grinste Nina schief an. »Schon möglich.«
    »Und Sie sind dann mit anderen losgezogen und haben Jessica zurückgelassen?«
    »Ich habe ein paar Typen getroffen. Als ich gegangen bin, war sie noch da.«
    »Der Barmann hat ausgesagt, er habe sie später mit einem Mann gesehen. Wissen Sie darüber etwas?«
    »Wie ich bereits sagte, ich war dann weg.«
    »Sie hatte keinen Partner, von dem Sie gewusst hätten?«
    »Zurzeit nicht.«
    »Und in jüngster Vergangenheit?«
    »Sie hatte Freunde, aber das waren nur irgendwelche Typen.«
    Nina schwieg eine Weile und betrachtete die Frau, die ihr gegenübersaß. Nach der ersten Überraschung über Jessicas Tod hatte sich Jean schnell wieder gefangen. Jessica war offenbar ein Verlust, den sie verschmerzen konnte. Nina dachte wieder daran, mit welcher Schnelligkeit die Entwicklung von A nach Z und dann zu einem Leichenkärtchen gehen konnte. Der Gedanke drängte sich auf, wenn man sich Jessicas Fall vor Augen hielt: eine dreiundzwanzigjährige Frau, die die meiste Zeit ein lockeres Leben führte und meinte, dass das immer so bleiben, dass ihr Selbstvertrauen sie wie ein Zaubermantel schützen würde.
    Eine Bemerkung konnte sie sich nicht verkneifen. »Ihnen ist klar, dass Sie nicht unverwundbar sind, oder?«, sagte sie.
    Jean erwiderte ihren Blick, legte den Kopf schief und lächelte kalt. »Sie auch nicht, Gnädigste.«
     
    »Wir sind dran«, sagte Monroe. »Gleich nachdem Sie angerufen hatten, haben wir einen Experten an den Computer gesetzt. Wir wissen, wo sich der Webserver im geografischen Sinn befindet. Die Internetseite des Opfers existiert immer noch, und wir haben auch ein At für diesen Webdaddy ausfindig gemacht.«
    »Ein ›At‹?«
    »Unter Computerfreaks ein Ausdruck für E-Mail-Adresse, so scheint es.«
    »Man lernt nie aus.«
    Sie standen auf dem Balkon von Jessicas Wohnung, die immer noch durchsucht wurde. Monroe trank kaltes Mineralwasser, sah aber ungewöhnlich erhitzt und abgespannt aus.
    »Hat die Durchsuchung etwas Brauchbares erbracht?«
    »Nichts außer dem Computer. Sie hat die Wohnung sehr sauber gehalten. Wir haben kaum Fingerabdrücke gefunden. Das Police Department wird einen Abgleich machen, aber … Wir haben Notizbücher mit Kritzeleien und ein paar dichterischen Versuchen sichergestellt. Keine Namen oder Telefonnummern bis jetzt. Die Gerichtsmediziner knöpfen sich gerade das Schlafzimmer vor, aber es gibt keine Hinweise, dass sie dort ermordet worden ist.«
    »Wann klopft denn jemand an Webdaddys Tür?«
    »Das dauert nicht mehr lange. Die E-Mail-Adresse war keine direkte Hilfe, aber wir haben eine Spur dank der Registrierung für den virtuellen Server. Jessica und Jean gehörten zu einer Gruppe von fünfzehn Mädchen, einige hier aus L.A., zwei

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