Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel des Todes

Engel des Todes

Titel: Engel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
Vom Netzwerk:
er es sich so wünschte (und damit hatte sie, zumindest für den Augenblick, recht); vielleicht dachte sie auch, dass alles vorbei war, dass jetzt kein Trinkgeld mehr drinlag (worin sie sich irrte). Vielleicht hatte sie auch eine Embolie und brauchte ihre ganze verbliebene Kraft, um nicht umzukippen. Pete Ferillo wusste es nicht. Pete scherte sich nicht darum. Kein bisschen. Das war ja das Großartige daran. Bei Pete gab es für alles eine Schublade. Das hier brauchte er nicht zu wissen. Darum scherte er sich einen Dreck.
    Er nahm sich eine Zigarre aus seiner Zigarrenkiste und hielt sie sich unter die Nase. Nötig war das nicht, er kannte den Geruch, aber ihm war danach. Sie roch gut.
    Er schnitt die Zigarre an und steckte sie sich in den Mund. Er zündete sie sich mit einem Streichholz an. Neulich hatte ihm jemand, auf dessen Urteil er Wert legte, gesagt, das sei die beste Art, und deshalb machte er es jetzt genau so. Er zog so lange, bis sie richtig brannte. Dichter Rauch quoll aus einem Ende und stieg auf. Er blickte dem Rauch nach.
    Er saß mit ausgestreckten Beinen nackt in einem Sessel. Zu Hause würde er das nie tun. Zu schmerzlich wäre ihm bewusst geworden, dass er einen Bauchansatz und kümmerliche Schenkel hatte, dazu der grelle Kontrast zwischen seinem gelblichen Gemächt, den gebräunten Unterarmen und der fleckigen Blässe des übrigen Körpers. Aber hier an diesem Nachmittag konnte ihm das einerlei sein. Er brauchte keine Komplexe zu haben wegen seines alternden Körpers, seines unsportlichen, unattraktiven Aussehens. Er brauchte auch nicht darüber zu grübeln, was diese Zeichen über das Vergehen der Zeit und den vermutlichen Zustand seiner inneren Organe zu vermelden hatten. Vor allem brauchte er sich mit diesem wabbelnden Fleisch nicht an einer Ehefrau abzumühen, die vor allem deshalb so viel Zeit auf dem Laufband verbrachte, weil sie ihn damit verhöhnen konnte. Ja, Maria sah attraktiver aus als er. Viel attraktiver sogar. Na und? Fitnessstudios und Einkaufspassagen waren schließlich ihr Lebensinhalt. Hätte er ebenfalls nichts anderes zu tun, sähe er auch besser aus. Er liebte sie, selbstverständlich. Er liebte sie seit fünfundzwanzig Jahren. Mit der Zeit lernt man zu lächeln, auch wenn man sauer ist, und so kommt man miteinander aus.
    Die Wohnung gehörte einem wichtigen Gast seines Restaurants, einem Mann, mit dem Pete schon lange und an verschiedenen Orten Geschäfte gemacht hatte. Dieser Mann kam manchmal in Begleitung einer Frau zum Essen, die nicht seine Angetraute war. Pete war verschwiegen, er behielt für sich, dass sein Gast beim letzten Mal mit einer anderen Frau gekommen war. So kam es zu einem freundlichen Arrangement von Mann zu Mann, und nun hatte er seinen eigenen Wohnungsschlüssel. Eine Zugehfrau kam täglich, putzte und sorgte dafür, dass im Kühlschrank immer reichlich Mineralwasser vorhanden war. Die Wohnung war schlicht, aber gut eingerichtet. Schlafzimmer, Balkon, Bad, Wohnzimmerbereich. Letzterer war geräumig, eine Essecke mit einem kleinen Tisch war abgeteilt, und außerdem war der ganze Raum so eingerichtet, dass man die Eingangstür vom Wohnbereich aus nicht sehen konnte. So wirkte alles viel größer. Schlau gemacht. Vom Balkon aus konnte man, in einen Bademantel gehüllt, am späten Nachmittag die Sonne genießen, während die Sterblichen unten in der Stadt schufteten und anschafften. Vielleicht später.
    Für den Moment reichte ihm der Sessel. Er schaute dem Mädchen zu, wie es an der Theke der winzigen Küche hantierte. Er kannte ihren Nachnamen nicht. Auch nicht ihre Lieblingsfarbe, ihren Lieblingsschauspieler oder ihre Lieblingsfernsehshow. Ebenso unbekannt waren ihm die Namen ihrer früheren Freunde, und er wusste auch nichts von tollen Zeiten mit ihnen oder sonst jemandem. Er wusste von ihr nur, was er wissen wollte. Sie war groß und braun gebrannt, und ihr Name war Cherri. Er mochte diesen falschen Namen, bei dem man das »Und nun auf Bühne vier …« förmlich mithörte. Das glatte Haar, das in allen Tönen von Rotblond bis Platin changierte, fiel ihr üppig zwischen die Schulterblätter. Sie war schlank (von jugendlicher Schlankheit, nicht etwa diese ausgemergelte Dürre der Truthahnhälse, bei denen man jeden Bissen sah), hatte große Brüste, ein hübsches Gesicht und eine wirklich gut gemachte Tätowierung, eine kleine schwarze Rose, auf dem Hintern.
    Im Allgemeinen mochte Pete keine Tätowierungen, jedenfalls nicht bei normalen Frauen. Aber bei

Weitere Kostenlose Bücher