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Engel des Vergessens - Roman

Engel des Vergessens - Roman

Titel: Engel des Vergessens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallstein Verlag
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berührte, sich ihm entzog. Es will die Worte von den Dingen pflücken, den Namen Wiesenschelle von der Wiesenschelle und Taubnessel von der Taubnessel.
    Es kauert sich ins Gras und steht nicht mehr auf, es schrumpft zum dunkel schimmernden Stein, mit schillernden, eingeschlossenen Lichtfunken, die wie Wasser und Feuer leuchten und wie die Luft fluoreszieren. Sein Atem zieht Flüsse durch das Gestein, sein Lachen quillt aus dem Steinkern nach außen, wie Wolkensäulen, im Wachsen erstarrt.
    Das Kind hat sich nach innen geworfen, in die Kuhle, die es noch wärmt und hält und verbirgt.
    * * *

Das Mädchen, das sich aus dem Gras erhebt, mit seinem ungelenken, biegsamen Körper, dürfte wohl ich sein, das fremde Ich, das das Weinen entdeckt, als Quelle, die alles aus den Tiefen des Körpers schwemmt, was sich dort angesammelt hat, das Weinen als Förderkorb entdeckt, um in die Sohle des Körpers zu fahren, um ein Metall ans Licht zu fördern, das es vergiftet und nährt. Ich lerne in dieser Nacht, schluchzend zu etwas Samtigem und Warmem vorzudringen, zu etwas Dunklem und Hellem, das mich zermalmt und versöhnt, das mich das Kind sehen lässt, fern von mir, wie in mir.
    Von da an bin ich das falsch zusammengewachsene Mädchen, kommt mir vor, das Mädchen mit ausgerenkten Gliedern, mit hochtrabenden Gedanken. Meine Arme ragen seitwärts, die Beine, wie notdürftig angebracht, hängen in neuer Schwere in der Luft, der Kopf ausgehöhlt, frei geworden für alles und nichts.
    Ich gehe zurück in das Haus der Eltern, lege mich ins Bett und starre ins Dunkel. Am Morgen spüle ich die geschwollenen Lider mit kaltem Wasser und gehe benommen zur Küche.
    Hinter geschlossener Tür höre ich Mutter zu Vater sagen, dass es jetzt an der Zeit sei, etwas zu unternehmen, für den Fall, dass das Mädchen ins Gymnasium gehen sollte. Sie sagt, sie habe mit den Lehrern und mit dem Kaplan gesprochen. Alle seien der Meinung, dass ein Schulwechsel gut wäre. Die Frist für die Anmeldung habe sie schon einmal versäumt, aber das Mädchen könnte im Herbst in die zweite Schulklasse einsteigen, wenn es gut lernte.
    Vater fragt, was das heißen solle, ins Gymnasium gehen, sie hätte schon wieder hinter seinem Rücken Entscheidungen getroffen, er denke nicht daran, das Mädchen auswärts in die Schule zu schicken, das werde er nicht zulassen. Sie wolle ihm nur das Kind wegnehmen, das sei alles, was sie wolle. Mutter sagt, er solle doch vernünftig sein, man müsse von den Möglichkeiten, die sich mit der staatlichen Förderung anbieten, Gebrauch machen, Michi werde seine Tochter auch ins Gymnasium schicken und die Töchter seines Bruders besuchten schon längst die slowenische Mittelschule.
    Sie solle seinen Bruder aus dem Spiel lassen, schreit Vater, es sei ihm egal, was Tonci und die anderen machten, er werde das Mädchen nicht gehen lassen und Schluss und aus! Er habe das ganze Geld ins Haus gesteckt, wo solle er das Geld für die Schule hernehmen, sie solle es nicht wagen, über sein Geld zu verfügen. Dann höre ich einen Schlag und Glas auf dem Boden splittern. Ich stoße die Küchentür auf und bleibe erschrocken stehen. Vater hat die Glasscheibe der Kredenztür zerbrochen und hält eine Kaffeeschüssel in der Hand, die er gerade aus dem Schrank genommen hat. Mutter steht neben der Tür und sagt mit zitternder Stimme, jetzt hast du wieder einmal gezeigt, wozu du fähig bist, das Mädchen muss doch wissen, woran es ist, man kann kein weiteres Jahr mehr zuwarten. Vater wirft die Kaffeeschüssel auf den Boden und stürzt aus der Küche, sie solle aufhören, ihn für dumm zu verkaufen, schreit er.
    Ich sage zur Mutter, wenn Vater kein Geld hat, werde ich eben nicht in die Schule gehen.
    Ach was, sagt Mutter und hebt das Schüsselchen auf, das werde sich schon machen lassen. Sie meldet mich für das Gymnasium an und nach einer Aufnahmeprüfung werde ich als Schülerin eingeschrieben.
    Zu Schulbeginn fahren wir mit dem Postautobus nach Klagenfurt. Auf dem Weg zum Schülerheim, in dem ich untergebracht bin, weigere ich mich aus unerklärlichen Gründen weiterzugehen. Ich brülle Mutter an, die beginnt sich für mich zu schämen, ich will nicht in die Schule, ich will nicht ins Heim und ich will nicht nach Klagenfurt! Mutter sagt, pass auf den Weg auf, damit du dir merkst, wie du zum Bahnhof zurückkommst. Das ist mir egal, plärre ich los, ich werde bestimmt keine Straße im Gedächtnis behalten, weil ich gleich wieder zurückfahren werde. Mutter

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