Engel für den Duke
Miss.“
„Danke, Dottie.“
Die Frau hastete davon.
Flora machte um zwei Uhr Feierabend und ging nach Hause. Lily blieb allein zurück, unruhig, besorgt und beseelt von dem Wunsch, die Zeit möge schneller vergehen. Gegen Ende des Tages kam die Frau des Lebensmittelhändlers herein, Mrs Smythe. Sie bestellte eine Haube aus Brüsseler Spitze, die sie zur Taufe ihres Enkels tragen wollte. Sobald Lily die Bestellung aufgenommen hatte, schloss sie den Laden.
Gleich nach Einbruch der Dunkelheit erschienen Tommy und Mugs an der Hintertür. Lily war immer froh, die beiden zu sehen. Sie wusste, wie es war, auf der Straße zu leben. Sie sorgte sich um die Sicherheit des Jungen und betete, dass er nicht in Schwierigkeiten geriet.
„Nach dem Essen muss ich eine Weile fortgehen“, sagte sie zu Tommy, „aber es wird nicht lange dauern.“
„Wohin gehen Sie?“, fragte er.
„Ich treffe mich mit einem Mann und erzähle ihm etwas über die Sterne.“
„Ich habe sie mit meiner Mum angesehen. Sie hat mir Geschichten darüber erzählt.“
Lily lächelte. „Wenn du die Sterne beobachtet hast, dann hast du bestimmt auf dem Land gelebt.“
Er nickte. „Bis Mum krank wurde. Nach ihrem Tod kam ich nach London.“ Sie bemerkte, dass er an ihr vorbei sah, und drehte sich um, um festzustellen, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Es war ein kleiner, in Leder gebundener Gedichtband, der auf dem Tisch lag.
„Ich habe nie daran gedacht, dich zu fragen – kannst du lesen?“
„Meine Mum hat es mir beigebracht. Sie war in keiner richtigen Schule, aber sie war sehr klug. Sie war Zimmermädchen in einem großen Landhaus, und die Haushälterin hat es ihr beigebracht.“
Sie ging zum Tisch, nahm den Gedichtband und brachte ihn Tommy. „Vielleicht möchtest du darin lesen, während ich weg bin.“
Tommy lächelte. Er hatte ein hübsches Lächeln, und seitdem er ordentlich aß, war sein Gesicht nicht mehr so hager. Er nahm ihr das Buch aus der Hand, als wäre es ein Edelstein. „Danke, Miss. Ich werde gut darauf aufpassen.“
Lily hatte dem Jungen im Hinterzimmer eine Matratze zum Schlafen hingelegt. Als Tommy gegessen hatte, setzte er sich darauf, Mugs rollte sich neben ihm zusammen, und er begann im Schein der Öllampe zu lesen.
Die Nacht brach an. Es war neun Uhr, bis Lily ihr buntes Seidenkleid trug und bereit war, den Laden zu verlassen. Tommy und Mugs schliefen schon, als sie sich den Umhang umlegte und das Band unter dem Kinn schloss. Sie zog die Kapuze über die dunkle Perücke und lief zum Droschkenstand.
Es dauerte nicht lange, bis eine Kutsche um die Ecke bog. Während der Wagen zu dem kleinen Stadthaus am Piccadilly fuhr, das Madam Tsaya gehörte, dachte Lily an Preston Loomis und versuchte, das unbehagliche Gefühl zu ignorieren, das in ihr aufstieg.
Christopher Barclay saß allein an einem Ecktisch bei White’s, seinem Club, vor sich ein unberührtes Glas Brandy. Wäre seine Kehle nicht wie zugeschnürt gewesen, hätte er sich vielleicht betrunken. Doch wurde ihm schon bei dem Gedanken daran übel.
Während der vergangenen zwei Tage hatte er weder essen noch schlafen können. Er hatte nur an die kleine Hexe denken können, der es gelungen war, ihn zu verzaubern.
Verdammt, was hatte ihn eigentlich dazu gebracht, sich überhaupt mit dem Mädchen einzulassen? Er hatte gewusst, dass das nur Ärger bringen würde. Aber wer sich von seinen Trieben lenken ließ, hatte kein Gewissen, und er begehrte sie mehr, als er je eine Frau begehrt hatte.
Er sah auf, als ein vertrautes Gesicht vor ihm auftauchte. Gerade Nase, schwarzes Haar, strahlend blaue Augen.
„Stört es dich, wenn ich dir Gesellschaft leiste?“ Rule Dewar stand neben dem Tisch, ein Glas Brandy in der Hand. Ein Dewar war das Letzte, was Christopher jetzt sehen wollte, aber Rule und Christophers jüngerer Bruder Lucas waren gleichaltrig und gut befreundet.
„Ich dachte, du wärst in der Schule.“
„Ich bin fertig damit und verdammt froh darüber.“ Er zog einen Stuhl heran, setzte sich aber nicht, sondern wartete auf die Aufforderung dazu, die Christopher ihm am liebsten nicht gegeben hätte.
„Es stört mich nicht, aber ich muss dich warnen. Ich bin keine angenehme Gesellschaft.“
Rule setzte sich und musterte prüfend Christophers Gesicht. „Wenn du nicht gerade am Spieltisch verloren hast, nehme ich an, es geht um eine Frau.“
Christopher stöhnte nur.
„Ist sie verheiratet?“
„So gut wie.“
„Sag mir nicht, du bist
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