Engel im Schacht
Ich hielt am Straßenrand, so daß er gezwungen wa r, wieder zu mir zurückzukom men. Danach fuhr er in gemäßigtem Tempo durch die Stadt zur Schnellstraße. Ich überholte ihn ein paarmal, hin und wieder hielt ich kurz am Straßenrand. Anscheinend folgte uns niemand.
Sobald wir in die Vororte kamen, verringerte ich den Abstand zu Kens Spider. Mittlerweile hatte es zu nieseln angefangen, so daß es schwieriger wurde, die anderen Autos im Auge zu behalten. Der Regen verwandelte die Straßen in glänzend schwarze Oberflächen, die das Licht immer wieder anders brachen.
Ken führte mich in eins der Einkaufsviertel, die so typisch für die Vororte sind - ein riesiger Discountladen am nächsten, einer wie der andere. Die Gegend sah aus wie ein immenser Vergnügungspark - alle Achterbahnfahrten durchs amerikanische Ödland inklusive.
Ich staunte, mit welcher Selbstverständlichkeit Ken, der in den Vororten geboren und aufgewachsen war, sich in dem gewaltigen anonymen Areal zurechtfand. Auf der Route 43 bog er nach links ab, wartete ungeduldig an zwei Ampeln mit ziemlich langer Rotphase, schoß dann links an einem Laster vorbei und blieb im Schatten einer riesigen Reklametafel mit der Information, das Einkaufszentrum sei rund um die Uhr geöffnet, stehen. Ich wartete im Auto, während Ken in den Laden ging, weil ich weder Lust auf weitere Flirts hatte noch von anderen beobachtet werden wollte. Als er nach etwa einer halben Stunde beladen mit Paketen, beschwingt und mit selbstzufriedenem Gesichtsausdruck zurückkam, erinnerte er mich an die jungen Typen, mit denen ich es in meiner Zeit als Pflichtverteidigerin bei Gericht häufig zu tun gehabt hatte.
Die Sache war mir ganz schön peinlich. Ken zu ungesetzlichem Handeln anzustiften, war moralisch unentschuldbar. Ich konnte ihm immer noch sagen, ich hätte es mir anders überlegt, schließlich wußte er nicht, wo ich hinwollte - und allein konnte er das Vorhaben nicht durchführen.
Statt dessen stieg ich aus, um ihn zu fragen, ob er alles habe, gab ihm die Adresse von Home Free und ermahnte ihn, den Wagen nicht direkt vor dem Gebäude, sondern an der Mündung der Straße, die dahinte r vorbeiführte, abzustellen.
Als wir bei Home Free ankamen, schickte ich Ken zur Tür, um nachzusehen, ob wirklich niemand im Büro war. Gewappnet mit der Ausrede, er brauche unbedingt eine Unterkunft, klingelte er und klopfte gegen das Glas. Ich stand an der Ecke Schmiere. Als niemand reagierte, gingen wir zur Rückseite des Gebäudes, um nach der Alarmanlage zu suchen.
Ich leuchtete mit der neuen Taschenlampe die Drähte an, damit Ken die Telefonleitungen, die ins Büro von Home Free führten, besser sah. Es war vier Uhr morgens. Der Himmel war noch immer schwarz, und es nieselte nach wie vor, aber ich machte mir allmählich Gedanken wegen der Zeit: Die Frühaufsteher würden in etwa einer Stunde das Haus verlassen.
»Okay, Vic, wir machen folgendes«, flüsterte Ken mir ins Ohr. »Wir spleißen die Leitung und verbinden sie mit einer Kabelsteckbox, damit der Stromkreislauf nicht unterbrochen wird. Bitte halten Sie die da ganz vorne, und geben Sie sie mir, wenn ich Sie drum bitte.«
»Die da« - das war eine Krokodilklemme, die die Telefonkabel an der Box festhielt, um den Stromkreislauf aufrechtzuerhalten. Er drehte einen Mülleimer um und stieg hinauf, damit er näher an die Leitung kam. Ich hielt ihr Ende vom Telefonmasten weg, während er die Leitung aufschnitt, die Isolierung entfernte und die Klemme anbrachte. Dann reichte ich ihm das andere Ende des Kabels, und er wiederholte den Vorgang. Sobald er die Leitung an die Batterie angeklemmt hatte, stellte er diese auf dem Gebäude ab, damit ihr Gewicht das Kabel nicht herunterzog. Das Ganze dauerte nicht einmal drei Minuten.
Er grinste ziemlich dämlich, als er wieder von dem Mülleimer runterkletterte. »Bis jetzt hab' ich bloß die Theorie gekannt, aber es ist interessant, das auch mal in der Praxis auszuprobieren. Und was machen wir jetzt?«
»Wir gehen die Straße rauf und warten, ob jetzt die Hölle losbricht.«
Etwa fünfzehn Minuten lang saßen wir im Schatten eines Hauses. Ken legte den Arm um mich und küßte mich. Ich drehte ihm den Arm weg.
»Was ist denn das für ein hartes Ding neben Ihrer Brust? Eine Pistole? Haben Sie die schon mal benutzt?«
»Ja. Aber Ihnen würde ich im Zweifelsfall einfach den Arm brechen.«
»Glauben Sie, Sie könnten das?« Offenbar hielt er körperliche Auseinandersetzungen für eine
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