Engel im Schacht
die Uhr auf dem Schreibtisch: Es war jetzt fast fünf. Ich ging wieder in den anderen Raum zu Ken zurück und mußte verärgert feststellen, daß er die Handschuhe ausgezogen hatte.
»Sind Sie verrückt? Sie können nicht überall Ihre Fingerabdrücke hinterlassen. Die Polizei hat die doch. Wenn wir was durcheinanderbringen oder Fersengeld geben müssen, suchen die hier sicher nach Fingerabdrücken.«
»Ich kann mit den Dingern nicht arbeiten. Sie haben doch gesehen, daß ich sie auch schon ausgezogen habe, als ich die Telefonleitung gespleißt habe.«
»Wenn Sie sie nicht sofort wieder anziehen, können Sie gehen.«
Als er mein ernstes Gesicht sah, beschloß er, sich nicht mit mir zu streiten. Nachdem er die Handschuhe aus seiner Jeanstasche geholt und wieder übergestreift hatte, nahm ich ihn in Jaspers Büro mit.
»Ich werde allmählich nervös, weil's bald hell wird. Ich würde gern die Videokamera einschalten, die die Straße überwacht, aber ich habe Angst, eventuell noch eine Alarmschaltung zu aktivieren, wenn ich den falschen Knopf erwische.«
Ken inspizierte die Schalter an der linken Seite des Schreibtisches und kniete dann nieder, um darunter zu schauen. »Ich weiß auch nicht, was für Kabel das sind, aber das da scheint mit der Leitung zu der Kamera draußen verbunden zu sein.«
Er schaltete den Bildschirm ein und legte einen kleinen Hebel um. Das koreanische Restaurant gegenüber von Home Free kam ins Bild, dann ein Wagen, der die Straße entlangfuhr. Ich bedankte mich bei Ken und begann, Schubladen zu durchsuchen und Akten durchzublättern.
Ein Rosenholzschränkchen unter dem Schreibtisch war mit einem ziemlich komplizierten Schloß versehen. Fast hätte ich es angesichts meiner Zeitnot unangetastet gelassen, aber dann siegte doch meine Neugierde, und ich wollte wissen, was man innerhalb eines verschlossenen Büros noch zusätzlich sichern mußte. Als ich es geknackt hatte, warf ich nervös einen Blick auf die Uhr: halb sechs. Ich schaute auf den Monitor. Vor Home Free stieg jemand ins Auto; inzwischen passierten auch mehr Wagen das Gebäude. Ich war dankbar für die Jalousien, die Jasper an den vorderen Fenstern angebracht hatte.
Als ich das Schränkchen aufmachte, fiel mir die Kinnlade herunter. In der Schublade lagen fein säuberlich gebündelt Geldscheine. Obenauf befanden sich, abgesehen von einem Teil mit Zwanzigern, der mit Pappkarton abgetrennt war, Hundertdollarscheine. Ich nahm die Bündel in die Hand. Hunderter über Hunderter. Ich rechnete schnell hoch, versuchte zu schätzen, wieviel Geld ich da entdeckt hatte. So um die fünf Millionen Dollar. Kein Wunder, daß das Gebäude gesichert war wie Fort Knox. In so großen Mengen sah das Geld irgendwie unecht aus. Bisher hatte ich solche Beträge nur in Fernsehberichten über Drogenhändler gesehen. Verdiente Jasper sich ein Zubrot als Dealer? Wie sonst kam man an so viel Geld - und warum sonst würde es hier herumliegen? Vielleicht war es Falschgeld - möglicherweise leitete Jasper gefälschte Hunderter und Zwanziger in den normalen Geldkreislauf. Das würde erklären, warum er eine Bank brauchte, die keine Fragen stellte, und warum er die Leute im Rathaus zum Schweigen bringen mußte.
»Hey, Vic - kommen Sie mal kurz. Ich hab' was gefunden, was Sie interessieren könnte«, rief Ken aus dem vorderen Raum.
Ich warf schnell einen Blick auf den Bildschirm, als ich aufstand, und erstarrte fast.
Jasper Heccomb stieg vor dem Gebäude aus seinem Wagen.
»Ken!« brüllte ich. »Kommen Sie sofort!«
Ich rannte zur Tür. Er starrte mich mit offenem Mund an.
»Sofort!« zischte ich ihm zu. »Jasper ist da. Na los, schnell!«
Während wir Jaspers Schlüssel schon im Schloß hörten, starrte er mich immer noch an und blieb wie gelähmt sitzen. Ich rannte zu Tishs Schreibtisch hinüber, packte Ken am Arm, zerrte ihn hinter mir her in den hinteren Raum. Dann knallte ich die Tür zu Jaspers Büro hinter mir zu, schob den Riegel vor und bugsierte Ken ins Bad. Es dauerte ungefähr eine Sekunde, bis ich auch dort den Riegel vorgeschoben hatte. Sonderlich stabil sah er nicht aus, aber wahrscheinlich ließ er sich nicht von außen öffnen. Ich kletterte in die Dusche. »Bleiben Sie hinter mir stehen, während ich die Riegel zurückschiebe. Hier drin ist zu zweit kein Platz.«
Meine Nackenhaare sträubten sich, und der Schweiß lief mir in Strömen runter. Vor Angst waren meine Finger ganz steif, aber irgendwann gelang es mir doch, den Riegel
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