Engel im Schacht
Augen. »Am Sonntag hast du Conrad gesagt, ich hätte mit dir gesprochen, obwohl das gar nicht stimmt. Und da glaubst du, daß ich dir jetzt dabei helfe, ein Kind zu quälen, das die Hölle durchgemacht hat? Keine Chance. Und wenn«, ich warf einen schnellen Blick auf das Namensschild der Schwester, »und wenn Ms. Higgins zögern sollte, dich von den Sicherheitskräften hinauskomplimentieren zu lassen, rufe ich höchstpersönlich die Polizei. Conrad würde sich über jede Gelegenheit freuen, dich ein paar Stunden einzubuchten.«
Murray legte einen Arm um mich. »Du machst mich richtig heiß mit deinen ultrabrutalen Drohungen, Vic. Ich will ja bloß mit reingehen, wenn du mit dem Mädchen redest.«
Ich wand mich aus seinem Griff. »Vergiß es! Sie ist eine Person, die Hilfe braucht und kein Kreuzverhör.«
»Das versuche ich ihm auch schon die ganze Zeit klarzumachen«, meinte die Schwester. »Dr. Morrison hat gesagt, keine Reporter, keine Aufregungen.« »Murray, wenn Frauen >nein< sagen, meinen sie auch >nein<. Hör auf, der Schwester auf die Nerven zu gehen. Sie hat was Besseres zu tun.«
»Wie wär's dann mit einem Exklusivinterview mit dir, Warshawski? Schließlich hast du doch das Mädchen zusammen mit ihren Brüdern aus dem Schacht geholt. Ich lade dich auf einen Kaffee ein, da kannst du mir dann alles erzählen. Ich würde dich rasend gern in dem Morgenmantel aufnehmen: Der V-Ausschnitt erinnert mich an ein paar wirklich nette Abende.« »Warum nicht.« Ich machte mich auf den Weg zum Aufzug. »Na, was ist, Großer?« Murray schluckte - er hatte offenbar nicht damit gerechnet, daß ich ihn beim Wort nehmen würde, folgte mir aber trotzdem und stellte mir auf dem Flur eine Frage nach der anderen. Als der Aufzug kam, stiegen wir gemeinsam ein, mit uns ein Labortechniker mit einem beladenen Wagen. Ich wartete, bis die Türen sich zu schließen begannen, und wand mich dann an dem Wagen vorbei hinaus. Murrays Proteste waren sogar noch durch die geschlossenen Türen hindurch zu hören. Ellen Higgins, die gerade von einem Patienten kam, dankte mir, als sie mich den Flur zurückkommen sah. »Die ganze Nacht waren Reporter hier. Einer hat sogar versucht, heut früh um drei zu ihr reinzukommen. Und als Lila Dantry, die Nachtschwester, ihn aufhalten wollte, hatte er doch glatt die Kaltschnäuzigkeit zu behaupten, er wäre ein Freund von Mr. Messenger und wolle ihr nur helfen.«
»Um drei Uhr früh?« Mir zog sich der Magen zusammen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß ein Reporter so etwas tun würde, traute es aber einem von Fabians Freunden zu, den er geschickt hatte. »Man sollte eine Wache aufstellen«, schlug ich vor.
»Darüber hat allein die Familie zu entscheiden«, erklärte mir Ellen Higgins. »Aber ich denke, wir können sie vor Journalisten schützen - normalerweise akzeptieren sie die Entscheidungen des Krankenhauspersonals.«
Der Gedanke, daß Fremde zu Emily ins Zimmer konnten, gefiel mir überhaupt nicht. In ein Krankenhaus können alle möglichen Leute. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, die Gebrüder Streeter anzurufen, Freunde von mir, die als Leibwächter arbeiten. Als die Schwester merkte, daß ich diejenige war, die die Kinder am Vortag gerettet hatte, brachte sie mich zu Joshua und Nathan. Sam und Miriam, die beiden Kinder von Tamar Hawkings, lagen auf der Intensivstation. Emilys Brüder hingen am Tropf, aber mittlerweile hatten sie schon wieder eine gesündere Gesichtsfarbe. Joshua beschäftigte sich mit einem Spiel, das er in der Hand hielt, und schenkte mir, Ellen Higgins und der Schwester, die sich um seinen Tropf kümmerte, keine Beachtung, aber Nathan war ziemlich unruhig. Die Stationsschwester sagte, er rufe ständig nach seiner Schwester.
Draußen auf dem Flur unterhielt ich mich mit Schwester Higgins darüber, ob ich zu Emily könne. »Sie hat sich völlig zurückgezogen. Anfangs haben wir sogar befürchtet, sie hätte einen Hirnschaden, aber das EEG sieht ganz normal aus.«
Ich nickte. »Wenn sie sich bedroht fühlt, zieht sie sich hinter eine Maske zurück, die sie fast zurückgeblieben aussehen läßt. Haben die Leute von der Polizei schon mit ihr gesprochen?«
»Ich habe gehört, daß eine ziemlich nette Beamtin sich mit Emily über den Tod ihrer Mutter unterhalten wollte, aber das hat sie so aufgeregt, daß die Frau gehen mußte. Was soll sie denn nach Ansicht der Polizei über ihre Mutter wissen?« Ich schüttelte den Kopf. »Die Polizei vertraut mir solche Sachen nicht
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