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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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einen Blick auf die Uhr: halb acht. Conrad wohnte in Chatham, fast eine halbe Stunde südlich vom Loop, und ich mußte vorher noch einen Anruf erledigen. Murray erklärte sich bereit, mir eine Stunde Zeit zu lassen.
    Ich erreichte Sal Barthele zu Hause. Sie war deprimiert, weil sie das Golden Glow auf unbestimmte Zeit schließen mußte - in den harten Zeiten war das Lokal ihre Haupteinnahmequelle. Aber sie hatte noch Glück, weil das Glow über einem nicht sehr tiefen Keller gebaut war.
    »Ich habe deine Aktionen im Fernsehen verfolgt«, meinte sie. »Am einen Tag wirst du fast verhaftet und abgeschoben, am nächsten bist du schon die große Heldin, die Obdachlose aus dem Wasser zieht. Ich hab' im Krankenhaus angerufen, aber da hat man mir gesagt, du wärst schon weg. Wo steckst du jetzt, Mädchen?«
    »Bei Conrad. Jemand hat am Samstag meine Bude durchsucht, und ich hab' noch nicht die Kraft gehabt, alles aufzuräumen.«
    »Dazu fehlt dir nicht die Kraft, Vic, sondern das Bedürfnis. Wenn bei mir was schiefläuft, putze ich. Wenn bei dir was schiefläuft, schießt du. Ziehst du jetzt zu Conrad, um deine Wohnungsprobleme zu lösen?«
    Diese Alternative war mir noch gar nicht in den Sinn gekommen. Ich sagte so nachdrücklich »Nein«, daß Sal lachen mußte.
    »Eigentlich habe ich dich angerufen, um zu hören, wie ich an Cyrus Lavalle rankomme«, sagte ich.
    »Was willst du denn mit diesem lächerlichen Kleiderständer?« fragte sie. »Jemand hat mir erzählt, daß er im Grand Guignol ist, wenn er nicht bei mir trinkt. Das ist oben am Broadway, Ecke Cornelia oder Brompton, irgendwo da in der Gegend. Wenn du ihn wirklich brauchst, findest du ihn über kurz oder lang dort.«
    Nachdem sie aufgelegt hatte, rief ich noch einmal Murray an. Murrend ließ er sich breitschlagen, mit mir ins Grand Guignol statt ins Filigree zu gehen - das Lokal lag ziemlich weit nördlich vom Zeitungsgebäude, und wahrscheinlich konnte man dort auch nicht essen. Ich hinterließ Conrad eine Nachricht und zog die Jeans an, die er mir ins Krankenhaus gebracht hatte. Gerade wollte ich gehen, als mir etwas einfiel. Ich nahm mir noch eine halbe Stunde Zeit, um meine Smith & Wesson zu reinigen und zu ölen und mit einem frischen Magazin zu laden.

Alles hat seinen Preis
    Sobald ich das Grand Guignol betreten hatte, wußte ich, daß ich fehl am Platz war. Das Innere der massiven Tür war mit gehämmerter Bronze verkleidet, und die Wände mit, wie es mir in dem düsteren Licht erschien, dazu passendem Leder. Die Gäste, die sich an den Tischen und am Tresen im engen Eingangsbereich drängten, waren ausnahmslos Männer. Männer in Leder, Männer in Seide, Männer mit abgeschnittenen Hosen und Löchern darin, die den Blick auf tätowierte Hinterteile freigaben, Männer mit Make-up und Stöckelschuhen und sogar ein paar im Geschäftsanzug. Am anderen Ende des Tresens sang die einzige Frau im Lokal mit kehliger Stimme Schnulzen. Ihr paillettenbesetztes Kleid bedeckte gerade das Allernötigste.
    Als ich an der Theke vorbeiging, beäugten mich die Männer auf ihren Hockern mißtrauisch und rutschten unsicher auf ihren Sitzen herum. Ich kam mir vor wie Gary Cooper vor dem Showdown in Zwölf Uhr mittags. Um nicht so klein zu wirken in meinen Halbschuhen, hielt ich mich ganz gerade. Fast fühlte ich mich versucht zu sagen: »Immer mit der Ruhe, Jungs, dann passiert niemandem was.« Cyrus konnte ich nirgends entdecken, aber Murray war schon vor mir da und hatte sich einen kleinen Tisch in der Ecke gesichert. Ein junger Mann mit olivfarbenem Teint und wasserstoffgebleichtem blonden Haar, der einen bis zum Bauchnabel offenen, pinkfarbenen Seidenoverall trug, beugte sich vom gegenüberliegenden Sitz her quer über den Tisch. Als ich an den Tisch trat, sah er mich an, verzog das Gesicht und säuselte Murray noch etwas zu.
    Ich lächelte ihn freundlich an. »Sorry, wir sind miteinander verabredet, aber ich hab' bloß für die erste Stunde bezahlt. Wenn ich weg bin, können Sie ihn gern haben.« Der Junge erhob sich träge, küßte Murray auf die Handfläche und schlenderte hinüber zur Theke. Murray begrüßte mich mit einem giftigen Blick. Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Die anderen Gäste sahen stirnrunzelnd zu uns herüber. »Die Rache ist dir geglückt, Warshawski, das muß ich dir lassen«, meinte Murray in grimmigem Tonfall.
    »Ich hab' nicht gewußt, daß das eine Schwulenkneipe ist«, gluckste ich. »Aber wenn du dein Gesicht gesehen hättest, wie

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