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Engel im Schacht

Engel im Schacht

Titel: Engel im Schacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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jetzt ein Rattenbiß. Hielt ich mich etwa für Gott? Wenn ich dachte, ihn zurück nach Chicago bringen zu können, damit wieder irgend jemand auf ihn schoß, hatte ich nicht alle Tassen im Schrank.
    In einer Hinsicht war sie ihrem Vater sehr ähnlich: Auch ihrem Mund entströmten die Worte in einem unversiegbaren Fluß. Ich murmelte in angemessenen Zeitabständen »ja« und »nein« - schließlich hatte sie ja recht. Ich hatte wirklich dafür gesorgt, daß der alte Mann seine Krankenversicherung weidlich in Anspruch nahm. Bevor mir eine Methode einfiel, ihren Redeschwall einzudämmen, tauchte ihr Vater an der Schwelle auf.
    »Hören Sie zu«, unterbrach ich ihn sofort, als er mich wortreich begrüßte. »Ihre Tochter hat mich gerade an die ganzen Gefahren erinnert, denen ich Sie im Lauf der Jahre ausgesetzt habe. Vielleicht sollten Sie doch lieber in Elk Grove Village bleiben, bis wir ... bis wir die Typen los haben, die die ganze Zeit hinter mir her sind.« Er war entrüstet. Wenn ich glaubte, er wolle jetzt schon den Löffel abgeben, dann täuschte ich mich. Mit Sicherheit würde er das nicht hier draußen in den Vororten tun. Er würde in eine Altenkommune ziehen - seine Stammkneipe hatte da was in Edgewater. Jedenfalls würde er sich von mir nicht behandeln lassen, als wäre er bereits tot.
    Ruthie warf ihm seine Undankbarkeit vor. »Hab' ich nicht sofort alles liegen- und stehenlassen, als ich gehört habe, daß du im Krankenhaus bist? Und wofür - damit du mir erklärst, daß dir dieses Flittchen wichtiger ist als dein eigenes Fleisch und Blut!« »Und hat dir nicht deine Mutter ein dutzendmal den Mund ausgewaschen, wenn du solche Sachen gesagt hast?« schrie ihr Vater sie an. »Entschuldige dich sofort bei Vic.« »Nicht nötig, nicht nötig«, sagte ich hastig.
    Doch dies war eine innerfamiliäre Auseinandersetzung - sie schenkten mir keine Beachtung. Sie fingen an, sich gegenseitig in solcher Lautstärke sämtliche Verfehlungen der Vergangenheit vorzuwerfen, daß Mitch und Peppy angerannt kamen, um zu sehen, was los war.
    Die Hunde kriegten sich fast nicht mehr ein vor Freude darüber, mich wiederzusehen. Schließlich war ich ja volle fünf Tage weggewesen. Während sie den Gehsteig ein dutzendmal auf und ab liefen, um mir ihre Freude zu zeigen, kam Ruthies jüngerer Sohn, ein schlaksiger Vierzehnjähriger, mit Mr. Contreras' Koffer aus dem Haus. Er drückte sich in typischer Teenagermanier hinter dem alten Mann herum - er wollte sich verabschieden, wußte aber nicht so recht, was er mit seinen überlangen Gliedmaßen anfangen sollte.
    Als wir die Hunde endlich im Wagen hatten, meinte Ruthie: »Ich kann nicht jedesmal nach Chicago reinfahren, wenn diese Detektivin dich wieder in Schwierigkeiten gebracht hat.«
    »Gott sei Dank«, erwiderte mein Nachbar trotzig. »Ich sag' dir doch immer, du sollst mich in Ruhe lassen. Tschüs, Ben.« Er klopfte seinem Enkel auf die Schulter und stieg in den Wagen.
    Auf dem Weg zurück in die Stadt ertappte ich mich dabei, wie ich mir ein paar von Ruthies Warnungen aufsagte. »Zu viele Leute wollen zur Zeit meinen Kopf. Gerade hat mich ein Gesandter von Senator Gantner besucht, der mir eine milde Drohung vom Senator höchstpersönlich überbracht hat.«
    »Das haben wir schon oft genug durchgekaut, Süße. Ich mag jetzt nicht mehr darüber streiten. Erzählen Sie mir lieber von den Kindern, die wir aus den Schächten geholt haben. Wie geht's denen?«
    Ich hatte noch schnell Eva Kuhn angerufen, bevor ich meine Wohnung verlassen hatte, so daß ich Mr. Contreras jetzt sagen konnte, welchen Eindruck sie von den beiden überlebenden Hawkings-Kindern hatte.
    »Meiner Meinung nach ist der Prozeß um das Sorgerecht, den Leon Hawkings anstrebt, das größte Problem. Die Kinder erholen sich körperlich schnell, aber Tamar scheint psychisch völlig auf dem Hund zu sein. Eva meint, solange sie sich mit der Überlebensfrage beschäftigen mußte, war alles in Ordnung, aber angesichts der Drohung, ihre Kinder zu verlieren, zieht sie sich immer mehr zurück und gibt auf.«
    »Tja, Mutter des Jahres wird sie sicher nicht, aber trotzdem sollten wir uns überlegen, wie wir ihr helfen können. Denn wenn der Kerl sie wirklich mißhandelt hat und die Tochter auch, dann darf er die Kinder keinesfalls zurückbekommen.«
    »Diese Aufgabe überlasse ich Ihnen - denken Sie mal drüber nach, wie man Tamar helfen könnte. Vielleicht wollen Sie ja die Kinder adoptieren.«
    Ich hatte das im Scherz gesagt,

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