Engel im Schacht
dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
»Herzlichen Dank, Warshawski«, meinte Fabian sarkastisch. »Danke dafür, daß du meine Tochter durcheinandergebracht und Manfred das Fest versaut hast. Vielleicht solltest du jetzt heimgehen.«
Mir wurde fast schwindelig bei dem Versuch, seiner verqueren Logik zu folgen. »Ja, ich geh' ja schon. Aber Deirdre: Wir müssen uns unterhalten. Morgen, wenn du wieder einen klaren Kopf hast.«
»Danke, ich habe einen völlig klaren Kopf«, fing sie an, aber ich hatte die Nase voll von beiden; ich folgte Emily und knallte die Tür hinter mir zu, so fest es ging.
Auf dem Flur versuchte ich zu erraten, in welches Zimmer Emily geflüchtet war. In keinem war Licht zu sehen, also blieb ich vor jedem Schlüsselloch stehen, um zu lauschen - ich machte genau das, was Fabian mir vorgeworfen hatte -, bis ich hinter einer Tür ersticktes Schluchzen hörte.
Ich klopfte leise an die Holzvertäfelung. »Ich bin's, V. I. - Vic Warshawski. Darf ich reinkommen?«
Als sie nicht antwortete, machte ich die Tür auf und tastete mich in der Dunkelheit bis zum Bett vor. Sie lag voll bekleidet auf der Tagesdecke und schluchzte heftig. »Na, Mädchen, jetzt nimm's mal nicht so schwer. Du schadest dir nur selber, wenn du so weitermachst.«
»Das wäre mir nur recht«, keuchte sie. »Am liebsten würde ich mich umbringen.« Ich kniete neben dem Bett nieder und legte ihr die Hand auf die bebende Schulter. »Ich glaube nicht, daß du dich zu Tode weinen kannst, aber du könntest dir eine Rippe brechen dabei ... Bloß aus Neugierde: Wie alt bist du eigentlich?« »Vier... zehn.«
»Ziemlich jung für das, was du machst. Wie alt sind deine Geschwister?«
»Josh ist sechs, und Natie ist zwei.« Durch die Beantwortung dieser einfachen Fragen war sie gezwungen, mit dem Schluchzen aufzuhören.
Ich ließ meine Hand auf ihrer Schulter liegen und massierte sie leicht, während ich darüber nachdachte, wie ich ihr helfen könnte. Lottys Worte schössen mir durch den Kopf, daß immer, wenn ich beschließe, mich in das Leben anderer Menschen einzumischen, jemand verletzt wird. Meine Sorge, Lotty könnte wieder einmal recht behalten, hielt mich davon ab, Emily drastischere Maßnahmen vorzuschlagen. »In ein paar Jahren kannst du hier weg und aufs College. Ich weiß, in deinem Alter ist es bis achtzehn noch ewig lange hin, aber jedenfalls kannst du dich an dem Gedanken festhalten, dich darauf freuen.« Ich verübelte ihr nicht, daß sie keinen Luftsprung vor Freude machte - es war ein zu schwacher Trost.
»Deine Eltern haben große Probleme«, fügte ich hinzu. »Meiner Meinung nach sind sie sogar verrückt. Glaubst du, du kannst dir das ins Gedächtnis rufen, wenn's wieder hart wird für dich - daß das zwei Menschen mit einem Riesenproblem sind, daß aber nicht du dieses Problem bist?«
»Woher wollen Sie das wissen?« fragte sie wütend in die Tagesdecke hinein. »Sie haben mich doch noch nie zuvor gesehen.«
»Ja, aber ich kenne deine Eltern seit fast zwanzig Jahren. Hör zu, Emily, ich hab' euch den ganzen Abend beobachtet - euch alle drei. Du warst die einzige von euch dreien, die sich in der Situation wie ein erwachsener Mensch aufgeführt hat, obwohl du noch ein Kind bist. Vielleicht ist das normal für dich, weil du nichts anderes kennst, aber glaube mir, die meisten Leute reagieren nicht so. Okay?«
Sie sagte nichts darauf, hörte aber allmählich zu schluchzen auf. Ich kramte in meiner Handtasche und zog eine Visitenkarte heraus. Meine Augen hatten sich in der Zwischenzeit an die Dunkelheit gewöhnt, und ich konnte die Umrisse der Möbel erkennen. Ich streckte die Hand nach etwas aus, das nur ein Schreibtisch oder eine niedrige Frisierkommode sein konnte .
»Mein Name und meine Telefonnummer stehen auf der Karte. Ich lege sie hier auf den Tisch. Wenn du mit mir reden willst, ruf mich an. Oder wenn du denkst, du hältst es hier nicht mehr aus, kann ich dir vielleicht helfen, über Alternativen nachzudenken. Ich weiß zwar auch noch nicht, wie die aussehen könnten, aber das könnten wir ja zusammen feststellen.«
Sie drehte sich auf die Seite, damit sie sich besser mit mir unterhalten konnte. »Das kann ich nicht machen. Ich kann die Jungs nicht im Stich lassen. Sie brauchen mich.« »Du hast auch ein Recht auf ein eigenes Leben, Emily. Denk drüber nach ... Soll ich dir ein Glas Wasser bringen, bevor ich gehe?« »Ist schon okay«, murmelte sie.
Ich machte die Tür leise zu und versuchte
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