Engel im Schacht
murmelte etwas Unverständliches als Antwort. »Steckst du mit ihr unter einer Decke?« wollte Fabian jetzt offensichtlich von Deirdre wissen, weil diese sagte: »Nein, ich stecke nicht mit ihr unter einer Decke. Ich habe Emily sogar heute nachmittag noch einmal gefragt, ob sie sich sicher ist, daß Joshua seinen Text kann, und sie hat ja gesagt.«
Ich hatte gerade die Tür aufdrücken wollen, aber der Schreck über dieses Gespräch ließ mich in der Bewegung erstarren. Sie setzten also Emily unter Druck, obwohl sie selbst ihren Sohn dazu gezwungen hatten, länger aufzubleiben, als gut für ihn war, und sich vor einer Menge von Fremden zu produzieren?
»Und was hast du dir eigentlich dabei gedacht, als du Donald und Alec mit diesem ganzen Scheiß von wegen den Obdachlosen um den Bart gegangen bist? Wenn Warshawski ihre Zeit und Energie in der Gosse verschwenden will, statt ihre juristische Ausbildung sinnvoll einzusetzen, ist das ihre Sache. Aber wieso läßt du dich in so was reinziehen?«
»Ich lasse mich nicht da reinziehen.« Deirdre sprach laut und bedacht, aber ihre Stimme klang brüchig. »Vielleicht erinnerst du dich: Ich bin mit ihr im Stiftungsbeirat des Frauenhauses und arbeite in einem Ausschuß, der sich um Obdachlose kümmert. Schließlich wolltest du doch, daß ich mich für wohltätige Zwecke einsetze, statt einem richtigen Beruf nachzugehen. Du hast gedacht, das läßt dich in hellerem Glanz erstrahlen.«
Lautes Klatschen, eine Hand auf menschlichem Fleisch. »Ich rede nicht von Home Free, Deirdre, sondern von dem Scheiß über die Obdachlosen, die in Warshawskis Bürohaus untergekrochen sind. Warum hast du das unbedingt ansprechen müssen?« »Ich habe es angesprochen, weil ich versuchen werde, der Frau zu helfen. Ich habe mit Vic darüber geredet, und sie meint, ich könnte vielleicht was tun.« »Du?« Fabian lachte wütend. »Du kannst dich doch nicht mal um dein eigenes Haus und deine Kinder kümmern. Was willst du da mit anderen Leuten? Und du, junge Frau, versuch ja nicht, dich zu verdrücken. Mit dir hab' ich auch noch ein Hühnchen zu rupfen.«
Ich klopfte laut an die Tür und drückte sie auf. Fabian stand vor einem kalten Kamin und sah seine Frau und seine Tochter an wie ein verknöcherter Lehrer seine unartigen Schüler. Emily, die immer noch das absurde pinkfarbene Kleid anhatte, zupfte am unteren Teil herum. Deirdre hatte den Kopf zurückgeworfen wie eine Kobra, aber der rote Fleck von Fabians Hand war immer noch auf ihrer linken Wange zu sehen. Sie waren so vertieft in ihre Auseinandersetzung, daß sie über mein Auftauchen nicht einmal überrascht wirkten.
Wir standen im großen Schlafzimmer - im Schlafzimmer für große Züchtigungen. Es war groß genug für einen Schreibtisch und eine Chaiselongue, und dann war noch immer Platz für eine Tanzveranstaltung. Ich sah meinen schwarzen Wollmantel hinten auf dem extragroßen Bett liegen.
»Laßt jetzt mal Emily in Ruhe«, sagte i ch. »Wie alt ist sie überhaupt? «
Deirdre stellte sich neben Fabian. Sie hörten auf, einander haßerfüllt anzustarren, und schauten statt dessen mich voller Wut an.
»Was geht dich das an, Warshawski? Warum sparst du dir deine Neugierde nicht für Männer auf, die dir was dafür zahlen, daß du durchs Schlüsselloch ihrer Frau schaust?« fauchte Fabian mich an.
»Mein Gott, Fabian, vielleicht deshalb, weil ich mir Manfreds Worte zu Herzen genommen habe und mich ein bißchen nützlich machen möchte. Ich habe einen entsetzlichen Abend in eurem Haus verbracht, Deirdre hat sich sinnlos betrunken, und du hast dich aufgeführt wie der Gockel auf dem Mist. Ich kann's nicht mehr mit ansehen, wie ihr eure Tochter behandelt - wie ein Kindermädchen. Ihr fragt noch nicht mal, ob eure Anschuldigungen nicht absurd sind.«
»Ich kann mich nicht erinnern, daß ich dich gebeten habe, zu bleiben.« Fabian versuchte es mit Hochmut. »Wenn du uns schon so zum Kotzen findest, warum gehst du dann nicht?«
Ich ging hinüber zum Bett und holte meinen Mantel. »Das würde ich ja gern, aber ich mache mir Sorgen, was du mit Emily anstellst, wenn ich jetzt gehe.« »Mach dir keine Sorgen um Emily«, meinte Deirdre. »Sie ist Papas Liebling; der passiert schon nichts.«
Emily hatte mittlerweile angefangen zu weinen. Sie versuchte es unauffällig zu tun, aber bei Deirdres Worten schluchzte sie laut auf und weinte: »Ich hasse euch. Ich hasse euch beide! Warum hört ihr nicht auf und laßt mich in Frieden?« Sie rannte aus
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