Engel im Schacht
gelenkiger übrigens, als man bei einem Mann seiner Größe erwartet hätte, und küßte meine rechte Hand. »O Göttin, der ich gehorchen muß, ich rufe alle Datenbanken mit meinen eigenen Fingern für dich auf, wenn du mir nur von diesem Mord erzählst, keine Einzelheit ausläßt, möge sie dir auch noch so unbedeutend erscheinen, und für mich eine Verbindung zu den Computernachforschungen herstellst, die du durchführst.«
Ich lachte. »Ich weiß nicht so genau, wie das, was ich wissen will, mit Deirdres Tod in Verbindung steht. Ich fische noch im trüben. Aber ich sage dir was, wofür sich die Bullen sowieso nicht interessieren: Deirdre wollte in meinem Büro jemanden treffen. Ich versuche herauszufinden, wen.«
Das gefiel Murray. Er dirigierte mich mit wippenden Schritten den Flur entlang und sagte, er würde alle gemeinen, häßlichen Dinge zurücknehmen, die er je über mich gedacht oder gesagt hätte, und fügte hinzu, er fände meine grauen Haare sexy. Dann lud er mich auf ein Gespräch in Lucy Moynihans Hamburgerbude ein. Während er drei Hamburger verdrückte und ich meine Suppe mit einer Tüte Zwiebelringen abrundete, besprachen wir das Für und Wider von Fabian als Hauptverdächtigem.
»Ich weiß, daß er sie geschlagen hat: Ich habe das selbst einmal durch die geschlossene Tür gehört«, sagte ich. »Aber mit wem soll sie geschlafen haben?«
Er schüttelte den Kopf. »Gerüchte - niemand weiß was Genaueres. Du weißt, daß die Hauptverdächtige die Tochter ist. Sie hätte damit auch einen triftigen Grund gehabt wegzulaufen.« »Ich weiß. Aber ich glaube es nicht. Ich glaube, es war Fabian. Und ich denke, ich kann dem Mädchen nur helfen, wenn ich rausfinde, mit wem sich Deirdre letzten Freitag in meinem Büro treffen wollte. Vielleicht sogar mit Alec Gantner oder Donald Blakely - sie hat bei ihrer Dinnerparty letzte Woche Anspielungen in dieser Richtung fallenlassen. Wenn die gesehen haben, wie Fabian in das Gebäude ist, halten die vielleicht aus brüderlicher Solidarität den Mund. Ich brauche ein Druckmittel, damit sie mit mir reden.«
»Und was sagt dein Freund Conrad dazu, wenn du der Polizei zeigst, wie sie ihren Job machen muß?« erkundigte sich Murray anzüglich. »Ist er nicht dicke mit dem zuständigen Beamten befreundet?«
»Willst du eine Story über mein Liebesleben oder über den Mord an Deirdre?« herrschte ich ihn an.
Murray lachte. »Ich bring' dich gern aus dem Gleichgewicht, Warshawski. Das ist gut für dich.«
»Ja, wie Rizinusöl.«
Ich sah auf meine Uhr. Sogar als reiche Erbin hätte ich keinen Cent für eine Zuhälteruhr wie die von Jasper Heccomb ausgegeben. Die alte Stahluhr meines Vaters, an die ich mir ein neues Band hatte machen lassen, damit sie mir nicht vom Arm rutschte, zeigte mir die Zeit genausogut wie eine Rolex. Jetzt las ich davon ab, daß ich noch zwei Stunden Zeit hatte, bevor ich zu Home Free zurückmußte. Ich trieb Murray wieder hinauf in die Redaktion und an seinen Computer.
Irrwisch
Uber die Gantners gab es zahllose Storys im Archiv. Alec senior war Senator der Vereinigten Staaten und früher Landwirtschaftsminister gewesen. Seine Frau saß im Vorstand von Symphony und Ravinia; ihre älteste Tochter Melanie hatte kurzfristig Bekanntschaft mit Weather Underground gemacht, bevor sie eine Farm in Oregon k aufte. Sie lebte dort betont ländlich und kultivierte hundert Morgen Land ohne Chemie oder Maschinen, während sie polemische Schriften gegen die moderne Landwirtschaft verfaßte, die in weiten Kreisen der Bevölkerung gelesen wurden.
Das Geld der Gantners stammte aus der Landwirtschaft, aus genau der Art von Kultivierung, die Melanie kritisierte - riesige Gebiete von über fünfundzwanzigtausend Morgen waren nur deshalb ertragreich, weil sie tonnenweise mit Pestiziden, Herbiziden und Dieselöl überzogen wurden. Die endlosen Maisfelder, die die Leute von der Ostküste so anöden, wenn sie auf dem Weg nach Kalifornien durch Illinois und Iowa brausen, werden in den richtigen Händen zu Gold, denn Keimöl und Sirup sind Bestandteile so unterschiedlicher Produkte wie Kaffeeweißer und Plastik. Und den Gantners gehörte an jedem Kolben ein Körnchen.
Alec J unior, der versuchte, unabhängig von seinem einflußreichen Papa seinen Weg zu machen - ohne jedoch so extrem zu sein wie seine Schwester -, hatte sich dem Biosprit zugewandt. Er forderte für Illinois die Subventionierung von Biosprit-Produkten und deren Vertrieb. Außerdem hatte er seine
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