Engelsasche
überragte ihre Halbschwester sie um mindestens zehn Zentimeter. Mit ihren hohen Wangenknochen, den feinen Gesichtszügen und großen blauen Augen mit dichten Wimpern war Ashley eine unglaublich schöne Frau geworden.
Schließlich fand Maggie ihre Stimme wieder. „Komm doch rein.“
Ashley trat in die Diele. Das letzte Mal, als Maggie sie gesehen hatte, war sie ein aufsässiger, frecher Teenager gewesen. Maggie versuchte auszurechnen, wie lange das her war.
„Es ist sechs Jahre her, falls du am Nachrechnen bist.“
Sie standen beide im Flur und fühlten sich unbehaglich. Maggie versuchte immer noch zu begreifen, dass ihre Schwester, die sie kaum kannte, jetzt hier in ihrem Haus stand. „Das könnte hinkommen. Damit wärst du …“
„Ich bin gerade einundzwanzig geworden.“
Maggie lächelte gequält. „Und du hast ein Baby.“
„Das stimmt.“ Das höchstens ein paar Monate alte Kind, eingewickelt in eine weiche blaue Decke, begann zu quengeln. Ashley wiegte es beruhigend hin und her.
„Lass uns ins Wohnzimmer gehen, damit du dich hinsetzen kannst.“ Maggie ging voran und spürte dabei kaum ihre Beine. Sie stand immer noch unter Schock und versuchte die Tatsache zu verarbeiten, dass Ashley ein Baby hatte. Und wahrscheinlich keinen Mann. Was ja heutzutage auch nichts Ungewöhnliches war.
Die junge Frau setzte sich auf das beigefarbene Polstersofa und bettete das Kind auf ihrem Schoß. Glücklicherweise hatte Maggie inzwischen fast alles ausgepackt. Zumindest waren die vielen Kartons mittlerweile aus dem Wohnzimmer verschwunden.
„Ich nehme an, du bist ziemlich überrascht, mich zu sehen“, sagte Ashley.
Sie verzog die Lippen. „Das könnte man so sagen.“ Sie hatten nie ein enges Verhältnis zueinander gehabt. Tatsächlich hatten sie sich die wenigen Male, die Maggie ihre Mutter in Florida besucht hatte, nicht besonders gut verstanden. Mit fünfzehn war Ashley ziemlich ausgeflippt gewesen, hatte getrunken und Drogen genommen. Maggie, die bereits älter war und für ihren Lebensunterhalt gearbeitet hatte, hatte das abgelehnt.
„Also … was bringt dich hierher nach Houston?“
Ashley blickte zur Seite, und zum ersten Mal fiel Maggie auf, wie nervös ihre Schwester war.
Sie strich dem Kind über das feine dunkle Haar und hielt den Blick weiter auf dessen Kopf gerichtet. „Mom hat Dad vor einem halben Jahr rausgeworfen. Sein Geschäft ging pleite, und du weißt ja, wie sehr Mom Probleme hasst.“
Das wusste Maggie allerdings. Etwas Ähnliches war mit ihrem Vater passiert. Tom O’Connells kleine Spedition hatte in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt. Das Geld wurde knapp, und ihre Mutter kam damit nicht klar. Also hatte Celeste das Weite gesucht, ihn Hals über Kopf verlassen und war nach Florida zurückgekehrt. Kaum war die Scheidung rechtskräftig geworden, heiratete sie den ersten Mann, der ihr einen Antrag gemacht hatte. Nur um sich bald wieder scheiden zu lassen. In einer dritten Ehe im darauffolgenden Jahr war Ashley geboren worden. Diese Ehe hatte offensichtlich bis vor ein paar Monaten gehalten.
„Ich war im sechsten Monat, als sie sich von ihm getrennt hat. Dad hatte seine eigenen Probleme. Ich wusste nicht, wo ich sonst hingehen sollte, also bin ich nach seinem Auszug beiMom geblieben. Wir haben uns die ganze Zeit gestritten. Nachdem das Kind geboren war, ist es schlimmer geworden. Letzte Woche habe ich meine Sachen gepackt und bin ausgezogen. Ich dachte … Ich hatte gehofft, du könntest mir helfen.“
Maggie blieb reglos sitzen. „Willst du Geld von mir haben?“
Ashley richtete sich gerade auf und hob das Kinn. „Ich hatte gehofft, du könntest mir bei der Jobsuche helfen. Bei der Wohnungssuche und so weiter.“ Sie stand auf, das Baby fest in den Armen. „Das war dumm von mir. Wir sind ja noch nicht mal richtige Schwestern.“ Sie wandte sich um und ging zur Tür. Der Anblick, wie sie mit stolz erhobenem Kopf ging und dabei das Kind verzweifelt an sich drückte, ging Maggie durch und durch.
„Warte!“ Sie lief ihr hinterher und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Wir sind Schwestern. Wir kennen uns nur nicht richtig.“ Sie hielt Ashley weiter an der Schulter fest. „Komm zurück und setz dich wieder. Wir besprechen alles miteinander, sehen, was wir tun können. Vielleicht wird das eine Weile dauern, aber wir bekommen das schon hin. Du kannst schon mal damit anfangen, indem du mir sagst, wie dein Baby heißt.“
Ashley warf dem Kind in ihrem Arm einen
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