Engelsauge - Die Jagd beginnt (German Edition)
fragte ich ihn, während wir uns auf einen flachen großen Stein setzten und hinaus aufs Meer schauten.
»Ich wurde von einem Vampir gebissen, so wie man sich das im Grunde vorstellt. Das Gift ging durch meinen Körper wie ein einziges Höllenfeuer, und obwohl ich definitiv noch nicht sterben wollte, sehnte ich mich in diesem Moment geradezu nach dem Tod, so schlimm waren die Qualen. Doch mittendrin ließ er plötzlich von mir ab und verschwand, ich weiß nicht genau warum. Wahrscheinlich wurde er gestört. Ich lag allein in einer dunklen Gasse. Mein Körper bäumte sich geradezu unter den Schmerzen, als sich auf einmal ein anderer Mann neben mich kniete und fragte, ob ich weiterleben möchte oder ob er mich erlösen solle.«
»Und du hast dich für das Leben entschieden.«
»Ja, wenn man das Leben, was ich seitdem führen muss, so nennen kann, doch in diesem Moment wollte ich einfach nur leben. Dieser Mann legte einfach nur seine Hände auf meine Bisswunde am Hals; hätte er dies nicht getan, wäre ich zu einem noch schlimmeren Monster geworden, denn ich hätte mich verwandelt.«
»Aber du bist kein Monster.«
»Doch, das bin ich. Ich hatte nur Glück, dass Arthur in der Nähe war. Denn, obwohl das Gift bereits in meinem Körper war, war er es, der mich vor weitaus Schlimmerem bewahrt hat.«
»Also ist Arthur derjenige, der dich endgültig verwandelt hat?«
»Sozusagen, ja. Ich bevorzuge eher das Wort ‘gerettet’. Weißt du, zwischen diesen beiden Welten liegt nur ein sehr kurzer Moment und es geschieht äußerst selten, dass man ein Slinner wird. Jedenfalls haben er und seine Frau Francis mich daraufhin bei sich aufgenommen und mir alles beigebracht, was ich wissen musste, um zu überleben. Vor allem aber haben sie mir nach meiner Verwandlung geholfen, dass ich nicht auf die schiefe Bahn geriet. Auch so etwas geht schneller als man denkt, wenn der Vampir in einem nach Blut schreit. Seitdem sind sie jedenfalls meine neue Familie.«
»Weißt du denn, welcher Vampir dir das damals angetan hat?«
»Wir fanden ziemlich schnell heraus, dass es nur einen Vampir gibt, dessen Gift mächtig genug ist, um einen Gebissenen, trotz rechtzeitiger Heilung eines Slinners, in einen anderen Slinner zu verwandeln, aber gefunden haben wir ihn bisher nicht.«
Ich nahm seine Hand in meine, was er mir mit einem vorsichtigen Lächeln dankte.
»Und wie lange bist du schon fünfundzwanzig?«
»Du bist ja wirklich neugierig. Sagen wir mal so: Lange genug.«
»Also?«, bohrte ich nach.
»Fünfundzwanzig war ich gerade im Jahr 1901 geworden.«
Ich konnte meinen überraschenden Gesichtsausdruck nicht verbergen, was Jadon lachend zur Kenntnis nahm.
»Wie du jetzt also weißt, hast du dir einen wirklich alten Freund ausgesucht.«
»Oh, wie schrecklich«, lachte ich und gab ihm einen Kuss, »wie gut, dass mich das nicht stört. Aber warum hast du mich so auf Abstand gehalten?«
»Wir müssen immer aufpassen, Enya. Ich darf nie meine Kontrolle bei dir verlieren und was genauso wichtig ist, ist, dass du niemals jemandem von mir und den anderen erzählen darfst. Und darum wollte ich dich schützen. Ich habe mich bereits im Diner zu dir hingezogen gefühlt und in der Uni, wo wir täglich aufeinandergestoßen sind, wurde es nur noch schlimmer.«
»Ich werde niemandem etwas davon sagen. Vertrau mir.« Daraufhin nahm er mein Gesicht vorsichtig, als wäre es zerbrechlich, in seine Hände und küsste mich erneut mit einer so überwältigenden Leidenschaft, bei der er sich zwar unter Kontrolle halten musste, aber für mich schienen einfach nur Feuerwerke zu explodieren.
»Was ist?«, fragte er leicht verunsichert.
»Ach, mir ist nur gerade was eingefallen, nicht wichtig.« Ich überlegte kurz und fuhr dann fort: »Also, du bist ja auch zur Hälfte ein Vampir und ich dachte immer, diese vertragen kein Sonnenlicht, auch wenn ich zwar einiges gelesen habe, so verstehe ich es noch nicht richtig.«
»Wir können durchaus ins Tageslicht treten, solange es allerdings nicht zu heiß wird.«
»Und was verstehst du unter heiß?«
»Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges hatten wir uns in Russland versteckt, da einige Soldaten uns dort schon länger auf den Fersen waren ... nun, jedenfalls spürten sie uns auf und wir mussten fliehen - und zwar mitten am Tag bei erstaunlichen dreißig Grad im Schatten. Dass es dort tatsächlich auch mal solch heiße Tage geben würde, daran hatten wir damals nicht gedacht.«
Mit wartenden neugierigen Augen
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