Engelsblut
es war nicht Rainer, der gleich durch diese Tür treten würde. Es war Nick.
Rainer war erst kommenden Sonntag an der Reihe.
Der Flieger war pünktlich gelandet. 8.30 Uhr. Nick hatte es ihr gestern gesimst, als er in Evansville auf dem Flughafen auf seinen Flieger gewartet hatte. »Holst du mich ab?«, hatte er gefragt.
Margot hatte in der vorigen Nacht nicht gut geschlafen. Immer wieder hatte sie darüber nachgedacht, ob sie Nick überhaupt abholen wollte. Sie hatten sich im Sommer zum letzten Mal gesehen, als sie zu Rainer in die USA geflogen war, um mit ihm den Urlaub zu verbringen.
Seitdem hatten sie ein paarmal telefoniert, sich ein paar Mails geschrieben.
Um halb sechs war sie endlich richtig eingeschlafen. Um sieben hatte der Wecker geklingelt.
Sie war aufgestanden. Es sprach ja wohl nichts dagegen, einen Freund vom Flughafen abzuholen. Und sie war sich sicher, wäre sie in Evansville gelandet, hätte Nick sie ebenfalls abgeholt. Also, wenn nicht Rainer …
Als Nick schließlich mit seinem Kofferkuli durch die Schiebetür trat, konnte Margot ihrem Herzen nicht Einhalt gebieten. Es klopfte, als sollte es einem Materialtest unterzogen werden.
Nick strahlte sie an. Er sah mindestens so gut aus wie im Sommer. Ein Dreitagebart, einen echten Western-Stetson auf dem Haupt, die obersten Knöpfe des Hemdes geöffnet. Der Bauch war ein wenig dicker geworden, aber auch das stand Nick Peckard gar nicht schlecht.
Sie ging auf ihn zu.
Er ließ den Wagen einfach stehen und nahm sie in den Arm. Sie ihn auch. Auf jeden Außenstehenden musste es wirken, als begrüßte Margot ihren Mann, der von einer dreimonatigen Expedition zurückkam.
»Hallo«, sagte er nur, »da bin ich.«
»Nicht zu übersehen«, sagte Margot, die ihm ganz automatisch einen Kuss auf die Wange drückte. »Warum bist du hier, wie lange – du hast mir gar nichts Genaues gesagt.« Ein wenig Ärger schwang in ihrer Stimme mit. Sie mochte solche Überraschungen nicht.
»Ich soll dich ganz herzlich von deinem Vater grüßen«, sagte Nick und lachte. »Er und Chloe haben mich gestern zum Flughafen gefahren.«
Ihr Vater, Sebastian Rossberg, lebte seit einem Dreivierteljahr im anderen Darmstadt in Amerika, gemeinsam mit seiner Jugendliebe Chloe Manfield.
»Warum bist du hier?«, wiederholte Margot ihre Frage, als sie in ihrem Wagen saßen.
»Die Kollegen von eurem Landeskriminalamt in Wiesbaden haben mich gefragt, ob ich nicht etwas über unseren Fall erzählen will, den wir gemeinsam gelöst haben. Sie wollen wissen, wie die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit in der Praxis funktioniert, wo man noch was verbessern kann und so weiter. Es gibt da ein paar Workshops, und die International Police Association hat kurzfristig das Geld lockergemacht. Deshalb bin ich jetzt hier.«
»Und wo wohnst du?«
»Keine Angst, ich habe ein Zimmer in der Polizeiakademie in Wiesbaden. Sogar mit eigener Dusche und Balkon, haben mir die deutschen Kollegen geschrieben.«
Margot war enttäuscht und erleichtert zugleich, dass Nick sie nicht gefragt hatte, ob er in ihrem Haus wohnen könne. »Und da möchtest du jetzt hin?«
»Ja, wenn es dir nichts ausmacht.«
Darüber war sich Margot absolut nicht im Klaren. Aber während sie darüber nachdachte, konnte sie ja schon mal in Richtung Wiesbaden fahren.
»Ich habe auch mit Rainer gesprochen. Er wird ja am Wochenende auch kommen. Wir waren vor zwei Wochen gemeinsam essen. Leider muss ich Sonntag schon wieder zurück. Wahrscheinlich in dem Flieger, der Rainer hierherbringt.«
Super, dachte Margot, Nick ging mit ihrem Mann essen. Wann hatte sie selbst doch gleich das letzte Mal mit ihrem Mann gegessen?
»Die nächsten zwei Tage habe ich volles Programm – aber ab Freitag habe ich Zeit. Ich würde mich sehr freuen, dich dann zu sehen.«
»Ja, gern«, sagte Margot. Und ärgerte sich gleich darauf schon wieder über sich selbst.
»Ich habe einen Riesenhunger«, sagte Nick. »Hast du Lust, noch mit mir zu frühstücken? Oder bist du unabkömmlich?«
»Na, schön, dass du auch noch kommst«, raunzte Horndeich. Demonstrativ sah er auf seine Armbanduhr. Es war bereits elf Uhr.
»Was ist der Stand der Dinge?«, fragte Margot, und Horndeich wollte so gar keine Spur von Schuldbewusstsein in ihrer Miene entdecken. Viel eher ein verschmitztes, nein, entrücktes Lächeln.
Bernd Riemenschneider saß in ihrem Büro. »Ich habe heute Morgen das Notebook von der Warka untersucht. Nichts. Also rein gar nichts. Sie hat ein paar
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