Engelsblut
Ausbildung seiner Tochter gesichert wäre.
Alexander Aaner sprach weiter: »Ich bin Paul in die Parade gefahren. Und habe ihm gesagt, dass ich das für keine gute Idee hielte. Er solle noch ein paar Nächte darüber schlafen. Und ich würde im Gegenzug mal die Fühler ausstrecken, was man für die Bibel erzielen könne. Tat ich aber nicht, sondern ich rief meinen Anwalt an. Seitdem stritt ich mit Paul um das Buch. Ich wollte die Bibel auf keinen Fall auf dem freien Markt verkaufen. Ich wollte sie eher einem Museum zukommen lassen. Oder eine Stiftung gründen, damit sichergestellt würde, dass dieses fantastische Exemplar nicht in irgendeinem Safe verschimmeln würde.«
»Und – wie war der letzte Stand der Dinge?«
»Ich habe tatsächlich eine einstweilige Verfügung durchsetzen können, sodass die Bibel nicht verkauft werden durfte, bevor nicht eine gerichtliche Einigung erzielt worden ist. Und vor einer Woche war die Vorverhandlung für die zweite Instanz. In der ersten habe ich nämlich verloren. Das Urteil des Richters besagte, dass mein Bruder mir zwar einen Anteil geben müsse, aber er sei der alleinige Eigentümer der Bibel und könne damit machen, was er wolle. Nun, in der Vorverhandlung letzte Woche haben die drei Richter gesagt, dass sie das ähnlich sehen und der Prozess keine Aussicht auf Erfolg habe.«
»Das ist ein Motiv. Das wissen Sie.«
»Ja und nein. Mir war der Erlös nicht wichtig, den wir für die Bibel erzielen würden. Mir war nur wichtig, dass die Bibel zu einer wissenschaftlichen Institution kommt. Mein Bruder hatte ohnehin Geld wie Heu. Und mir hat Geld nie wirklich viel bedeutet. Ich hatte immer genug, um gut zu leben.
Aber ich habe meinen Bruder nicht umgebracht. Und seine Frau schon gar nicht.«
»Wo waren Sie am Wochenende vor zwei Wochen?«
»Da, wo ich meistens an den Wochenenden bin. Zu Hause.«
»Kann das jemand bezeugen?«
»Klar. Heinz, mein Lebensgefährte. Es war gutes Wetter. Wir sind mit dem Fahrrad gefahren. Waren im Biergarten. Haben abends ›Titanic‹ auf DVD geschaut und mit Kate Winslet gelitten. Aber das ist natürlich alles kein belastbares Alibi. Dennoch: Ich habe es nicht getan.«
»Wann haben Sie Ihren Bruder zum letzten Mal gesehen?«
»Das war vor dem Termin bei Gericht. Ist jetzt sicher vier Wochen her.«
»Würden Sie mich bitte ins Präsidium nach Darmstadt begleiten? Wir würden gern Ihre Fingerabdrücke nehmen.«
»Selbstverständlich. Das wird Ihnen zeigen, dass ich nicht der Täter bin.«
Man hatte Margot das Büro der Abteilungsleiterin zur Verfügung gestellt, um mit den Angestellten der Postfiliale am Luisenplatz zu sprechen, in der Susanne Warka gearbeitet hatte. Das Büro war hell, aber nicht groß. Die Abteilungsleiterin trug noch einen Stuhl ins Büro, damit neben Margot auch noch der jeweils befragte Mitarbeiter Platz nehmen konnte.
Sie hatte bereits mit zehn Arbeitskollegen von Sonja Leibnitz gesprochen, doch nicht mehr erfahren als das, was auch die Abteilungsleiterin ihnen schon gesagt hatte. Susanne Warka war bei ihren Kollegen beliebt gewesen – zumindest hatte keiner das Gegenteil behauptet. Zuverlässig, pünktlich, freundlich zu den freundlichen Kunden, gelassen bei den Nörglern und Keifern. Sie zeichneten auch ein Bild der fürsorglichen Mutter, die manchmal Dienste tauschte, wenn sie mit der Kleinen zum Arzt musste.
Über ihr Privatleben konnte kaum jemand etwas sagen, denn sie war den Kollegen gegenüber eher verschlossen. Die Meinungen über sie waren einhellig. Und der Rosenkavalier, der war einigen aufgefallen.
»Hach, wer däd sisch dess nedd ach amool wünsche?«, brachte es Gisela Kraft, die dienstälteste Kollegin, auf den Punkt. Zur Identität des Rosenkavaliers konnte jedoch niemand mit wirklich nützlichen Hinweisen beitragen. Jeder hatte ihn beschrieben, und demnach sollte Margot sich am besten als Nächstes an die großen Schauspieleragenturen wenden, um nachzufragen, wie Richard Gere, Sean Connery und Daniel Craig dazu kämen, Susanne Warka Rosen zu schenken.
Margot bat die Abteilungsleiterin, Sonja Leibnitz noch einmal zu ihr zu schicken.
»Bin ich froh, dass Sie mich da rausgeholt haben!«, sagte sie anstatt einer Begrüßung, als sie, noch mit den Armen rudernd, in den Raum trat. »Manche Leute …« Sie sprach nicht weiter.
Margot konnte diese Entrüstung gut verstehen. Sie wunderte sich oft über die Respektlosigkeit der Kunden gegenüber dem Schalterpersonal, geriet jedoch auch selbst in Rage,
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