Engelsblut
berechtigt. Dauerte nur immer so lange … Doch wie schon am Morgen hatte Horndeich das Glück, Staatsanwalt Relgart sofort zu erreichen. Und auch der zuständige Richter Becker war gleich zu sprechen gewesen. So ratterte das Fax zwanzig Minuten später beim Leiter der Postfiliale aus dem Gerät.
Dank Bernd Riemenschneiders Bemerkung war Horndeich die Idee gekommen, dass Susanne Warka die privaten Dinge wie das zweite Handy einfach in einem Postfach deponiert hatte. Und nun durfte Horndeich einen Blick in dieses Postfach werfen.
Für Susanne Warka was das das optimale Versteck. Während die Fächer auf der Seite für die Kunden jeweils mit einem Türchen mit Schloss versehen waren, war auf der Rückseite keinerlei Barriere. Was logisch war: Die Angestellten sollten Postsendungen einfach in das Fach mit der jeweiligen Nummer legen können.
Das Postfach lag in der Wand der Postfächer ganz oben am Rand. Es war eines der Postfächer, die nicht so schnell vergeben waren. Die meisten Leute wollten ein Postfach in Augenhöhe, zu dem man sich nicht bücken musste und für das man auch keine Trittleiter benötigte, um die Post aus dem Fach zu nehmen.
Das Fach mit der Nummer 11-17-01 war gut gefüllt. Horndeich zog drei pralle DIN-B4-Umschläge heraus und warf gleich an Ort und Stelle einen Blick in die Umschläge. Im unteren Umschlag fand er nur Unterlagen, alle in DIN-A4-Format. Im zweiten Umschlag fand er, was er suchte: das zweite Handy von Susanne Warka. Ein Samsung Note. Das Neueste vom Neuesten. Sauteuer. Mit richtig großem Display, sodass Surfen und E-Mail-Schreiben kein Problem waren. Offensichtlich hatte sie es so versteckt, dass es bei den anderen Angestellten kein Aufsehen erregen würde.
Der dritte Umschlag enthielt ein paar Touristikprospekte aus Lindau.
Horndeich nahm die Umschläge mit. Zeit, wieder an den Schreibtisch zu gehen. Und Zeit für Bernd Riemenschneider, ein paar Überstunden einzufahren.
Wenig später hatte Riemenschneider bereits ein Back-up des Handys angefertigt, damit später niemand sagen konnte, der Inhalt sei nachträglich verändert worden.
Zwei Stunden danach hatte Horndeich einen groben Überblick über das zweite Leben der Susanne Warka. Und war erstaunt, über das, was er sah.
Zunächst stellte er fest, dass Susanne das Postfach an dem Tag angemietet hatte, an dem sie auch das Prepaid-Handy gekauft hatte. Offensichtlich hatte sie sich die notwendige Logistik für einen Plan organisiert. Diesen Plan hatte Horndeich entschlüsseln können: Susanne Warka hatte sich beworben. Sie wollte nach Gießen umziehen und dort einen neuen Job beginnen. Sie hatte viele Bewerbungen losgeschickt. Und zahlreiche Absagen und eine Zusage erhalten. Am 1. April des kommenden Jahres wollte sie in Gießen als Sachbearbeiterin bei einer Firma anfangen, die Etiketten herstellte. Horndeich warf einen Blick auf die Webseite des Unternehmens. Ob weiße Standardetiketten oder fälschungssichere mit Hologramm bedruckte Varianten – das Unternehmen schien für jedes Etikettenproblem eine Lösung zu haben.
Horndeich rechnete kurz nach: Das Kind hätte wohl im Januar oder Februar das Licht der Welt erblickt. Dann hätte sie den Job also genau dann begonnen, nachdem sie den Sprössling abgegeben hätte.
Auch auf die Frage, wie Susanne Warka bei der Post ihre Schwangerschaft erklärt hätte, fand sich eine Antwort in den Unterlagen: »Gar nicht«, lautete diese. Susanne Warka hatte sich eine kleine Ferienwohnung gemietet. Und zwar in Lindau. Am Bodensee. Kuschliges Ambiente. Ab 1. November. Offensichtlich wollte sie die Zeit bis zur Niederkunft abseits alter oder künftiger neugieriger Bekannter verbringen.
Horndeich telefonierte mit der Vermieterin, die bestätigte, dass der Mietvertrag für das Appartement unterzeichnet war. Die sympathische junge Dame habe auch die gesamte Miete im Voraus bezahlt. Ja, in bar. Und ja, sie wollte mit ihrer vierjährigen Tochter kommen.
Irgendjemand hatte es sich also richtig was kosten lassen, dass Susanne Warka das Kind zur Welt brachte. Und Horndeich bezweifelte, dass sie ihrem Freund oder ihrem Arbeitgeber oder auch nur ihrer besten Freundin etwas davon erzählt hatte. Susanne Warka hatte offenbar ein neues Leben anfangen wollen. Mit ihrer Tochter. Aber der Betrag, den sie für die Leihmutterschaft bekommen sollte, war nicht so hoch, dass sie nicht mehr hätte arbeiten müssen.
Horndeich schaute auf die Uhr. Freitag. 17 Uhr. Es war Zeit, Feierabend zu machen. Aber es
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