Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
Gedächtnis gebrannt, und die Jahre hatten nichts daran geändert. Kain hatte Ravins Motive nie verstanden. Ravin war ein blinder Loyalist, der, obgleich er viele von Mordechais Entscheidungen nicht billigte, ihm dennoch die Treue hielt. Und das, obwohl seine Kraft der von Mordechai ebenbürtig sein musste. Kain hatte sich oft gefragt, warum Ravin sich mit der Rolle des ewigen Gefolgsmannes abfand, wo er doch König sein konnte. Dass Ravin hier auftauchte, verhieß nichts Gutes.
    Er folgte ihnen ein Stück durch das Gedränge des Boulevards. Dabei fragte er sich, ob sie hinter Alan her waren oder hinter Eve. Die Frage erübrigte sich, als er einen Augenblick später Eve entdeckte. Sie stand an einem Münztelefon und schien so sehr in ihr Gespräch vertieft, dass sie nicht wahrnahm, was um sie herum vorging. Kain wurde bewusst, welche Wahl er treffen musste, als er im Kielwasser der Schattenläufer auf sie zuhielt. Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen unter dieser Erkenntnis.
    Eve drehte den Kopf, gerade, als er sich anschickte, die Straße zu überqueren, dicht hinter Mordechais Leuten. Eine Gruppe Teenager hüllte die Männer ein, Surfer mit sonnengebräunten Armen und Mädchen in hochhackigen Riemchensandalen. Kain legte die Hand um den Griff der Desert Eagle unter seiner Jacke, zog sie aber noch nicht.
    Was wollten sie jetzt noch von Eve, nun, wo sich der Ring in Mordechais Besitz befand? Rache? Sie zum Schweigen bringen?
    Er prallte beinahe in ein Auto und stoppte abrupt in der Mitte der Straße. Hupen klangen auf. Ravin drehte sich um. Ihre Blicke verhakten sich ineinander. Für einen kurzen Moment schien die Zeit sich zu dehnen. Kain nahm alle Details mit übernatürlicher Schärfe wahr. Ravins Gesicht, das keine Überraschung zeigte, fast als habe er diese Begegnung erwartet. In seinen Augen stand Erkennen. Er wusste genau, wen er vor sich hatte.
    Kain ging weiter, der Wind frischte auf, von irgendwo flog ein Ruf durch die Menge. Er dachte an sein iPhone mit dem grünen Punkt, der Eves Position markierte. Hier bot sich ihm die Chance, auf die er gewartet hatte. Alles, was ihn antrieb, zitterte vor Erwartung. Das Tier in ihm fletschte die Zähne.
    Ravin wandte sich ab, der Moment ging vorbei. Instinkt und Begierden griffen ineinander und Kain traf seine Entscheidung. Er löste die Hand vom Griff der Waffe. Während Eves Kopf herumflog, sie endlich verstand, blieb er stehen. Er drängte sich nicht durch den Strom der Fußgänger, sondern beobachtete reglos, wie sie sie überwältigten, so leicht, so ohne Mühe. Sie traten an sie heran, umringten sie. Vielleicht spritzten sie ihr ein betäubendes Medikament. Ein Wirkstoff, der sich sofort im Blut verteilte und ihren Widerstand in Sekunden zerbrach. Kain konnte es nicht genau erkennen. Aber es spielte auch keine Rolle. Sie zogen sie einfach mit sich fort, wie eine Puppe. Keiner der Passanten bemerkte etwas. Ravin blickte nicht mehr zurück. Er schien nicht zu erwarten, dass Kain sich einmischte.
    Kain starrte auf den Telefonhörer, der vor- und zurückpendelte, Minuten, nachdem er Eves Hand entglitten war. Lange stand er so und lauschte auf die Leere in seinem Innern. Er hatte seine Wahl getroffen. Seine Finger schlossen sich um das iPhone. Er zog es aus der Tasche und betrachtete den grünen Punkt, der sich zuerst langsam bewegte und dann schneller. Erschöpft stieß er den Atem aus. Die Chance erforderte ein Opfer. Er hatte sich entschieden. Und Eve würde nichts zustoßen, versicherte er sich selbst. Nicht, wenn er schnell genug war.

24
    M it einem Keuchen fuhr Alan hoch. Jeder Instinkt in ihm schrie Gefahr, bevor er überhaupt verstand, was ihn geweckt hatte. Seine Hand schoss zum Dolch. Blindlings stieß er mit der Waffe ins Dunkel. Die Klinge fand Widerstand. Die andere Hand zur Faust geballt, holte Alan zu einem Schlag aus.
    „Nicht!“, keuchte jemand.
    Finger wie Stahlklammern packten sein Handgelenk und rissen ihn aus dem Gleichgewicht. Gemeinsam mit dem Angreifer ging er zu Boden. Der Geruch von Blut traf seine Sinne, scharf und schwer wie der Hieb einer Klinge. Eine Signatur, die er zu jeder Zeit erkannt hätte.
    „Kain!“, knurrte er.
    „Warte“, stieß der andere hervor, „das ist kein Überfall!“
    Alan beherrschte sich nur mühsam. Adrenalin schoss durch seine Adern. Alles in ihm schrie nach Gewalt. Und noch eine andere Gier vernebelte ihm die Sinne. Er stellte sich vor, seine Zähne in der Kehle des anderen zu versenken.
    Er zuckte vor

Weitere Kostenlose Bücher