Engelsflammen: Band 3 (German Edition)
Elefantenstoßzähnen bekrönt war.
Der Mann auf dem Thron – mit seinen kajalgeschminkten Augen, seiner nackten, muskulösen Brust, seinen vergoldeten Zähnen, seinen beringten Fingern und dem Turm ebenholzschwarzen Haares – sprach mit ihr. Er hatte sich von einem schmallippigen blaugewandeten Schreiber abgewandt, der eine Papyrusrolle in der Hand hielt, und nun blickten beide Männer Luce an.
Sie räusperte sich.
»Ja, Pharao«, zischte Bill ihr ins Ohr. »Sag einfach: Ja, Pharao.«
»Ja, Pharao!«, rief Luce durch den riesigen Raum.
»Gut«, stellte Bill fest. »Jetzt nichts wie raus hier!«
Luce ging unter Verbeugungen rückwärts durch einen dunklen Eingang und fand sich in einem Innenhof mit einem Wasserbecken wieder. Die Luft war kühl, doch die glühende Sonne verbrannte die Reihen eingetopfter Lotusblumen, die den Weg säumten. Der Hof war riesig, aber unheimlicherweise hatten Luce und Bill ihn ganz für sich alleine.
»Hier ist es ein bisschen seltsam, meinst du nicht?« Luce hielt sich dicht an den Mauern. »Der Pharao schien nicht einmal erschrocken zu sein, als ich plötzlich vor ihm aus dem Nichts auftauchte.«
»Er ist zu wichtig, um seine Zeit mit der Wahrnehmung von Leuten zu vergeuden . Er hat eine Bewegung aus dem Augenwinkel gesehen und daraus gefolgert, dass da jemand für ihn war, den er herumkommandieren konnte. Das ist alles. Es erklärt auch, warum es ihn nicht beunruhigt hat, dass du chinesische Kampfkleidung aus einer Zeit trägst, die zweitausend Jahre in der Zukunft liegt«, sagte Bill und schnippte mit seinen steinernen Fingern. Er deutete auf eine schattige Nische in der Ecke des Innenhofs. »Warte da auf mich. Ich werde dir etwas zum Anziehen besorgen, das ein klein wenig modischer ist.«
Noch ehe Luce die sperrige Rüstung von König Shang ablegen konnte, war Bill mit einem schlichten weißen ägyptischen Etuikleid wieder da. Er half ihr, die Ledermontur abzustreifen und zog ihr das Kleid über den Kopf. Es bedeckte eine Schulter, wurde um die Taille gegürtet und verengte sich zu einem schmalen Rock, der fast bis zu den Füßen reichte.
»Haben wir irgendwas vergessen?«, fragte Bill mit seltsamer Eindringlichkeit.
»Oh.« Luce griff hinter sich in die Rüstung nach dem stumpfen Sternenpfeil, der darin steckte. Als sie ihn herauszog, fühlte er sich viel schwerer an, als er war.
»Fass die Spitze nicht an!«, sagte Bill hastig, wickelte die Spitze in Stoff ein und band sie fest. »Noch nicht.«
»Ich dachte, er könne nur Engel verletzen.« Sie legte den Kopf schief und erinnerte sich an die Schlacht gegen die Outcasts, erinnerte sich an den Pfeil, der von Callies Arm abgeprallt war, ohne einen Kratzer zu hinterlassen, und sie erinnerte sich daran, dass Daniel ihr eingeschärft hatte, weit außer Schussweite des Pfeils zu bleiben.
»Da hat dir jemand nicht die ganze Wahrheit gesagt«, erwiderte Bill. »Ein Sternenpfeil trifft nur Unsterbliche . Ein Teil von dir ist unsterblich, der verfluchte Teil, deine Seele. Das ist der Teil, den du hier töten wirst, schon vergessen? Damit dein sterbliches Ich, Lucinda Price, ein normales Leben führen kann.«
»Falls ich meine Seele töte«, sagte Luce, während sie den Sternenpfeil unter ihrem neuen Kleid befestigte. Selbst durch den rauen Stoff fühlte er sich warm an. »Ich habe immer noch nicht entschieden …«
»Ich dachte, wir wären uns einig.« Bill schluckte. »Sternenpfeile sind sehr wertvoll. Ich hätte ihn dir nicht gegeben, wenn …«
»Lass uns mein früheres Ich suchen.«
Es war nicht nur die unheimliche Stille des Palastes, die beunruhigend war – die Stimmung zwischen Luce und Bill schien merkwürdig zu sein. Seit er ihr den silbernen Pfeil gegeben hatte, herrschte bei ihnen eine gewisse Anspannung.
Bill holte tief und rasselnd Luft. »Also. Das alte Ägypten. Wir befinden uns in der frühdynastischen Periode in der Hauptstadt Memphis. Wir sind jetzt ziemlich weit in der Zeit zurück, ungefähr fünftausend Jahre, bevor Luce Price die Welt mit ihrer glanzvollen Anwesenheit beehrt.«
Luce verdrehte die Augen. »Wo ist mein früheres Ich?«
»Warum mache ich mir überhaupt die Mühe mit dem Geschichtsunterricht?«, fragte Bill und tat so, als spreche er zu einem Publikum. »Sie will immer nur wissen, wo ihr früheres Ich ist. Einfach widerlich, wie egozentrisch sie ist.«
Luce verschränkte die Arme. »Wenn du vorhättest, deine Seele zu töten , würdest du es wohl auch hinter dich bringen wollen, ehe
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