Engelsfluch
gehört?«
»Nein. Mein Bedarf an Sensationen wurde in Marino ausreichend gedeckt.«
»Gegenpapst Lucius hat für den kommenden Mittwoch alle Kardinäle der Glaubenskirche zu einem Konzil nach Neapel eingeladen. Dort sollen die Grundsätze und Richtlinien der neuen Kirche zementiert werden. Man rechnet mit einer großen Medienoffensive im Anschluss an das Konzil. Die Heilige Kirche des Wahren Glaubens wird versuchen, der Amtskirche das Wasser abzugraben und sich selbst als einzig legitime katholische Kirche zu positionieren.«
Enrico schaufelte den Rest seines Rühreis auf die Gabel und sagte: »Das klingt wie eine Marketingkampagne.«
»Es ist eine Marketingkampagne. Wenn man in unserer Welt erfolgreich sein will, muss man die Medien und die Öffentlichkeit hinter sich haben. Das wissen die Kirchenspalter in Neapel ebenso wie die Entscheidungsträger im Vatikan.
Deshalb haben wir das Gerücht über die Ankündigung von Papst Custos ausgestreut und in allen großen Redaktionen und Mediendiensten Roms verbreitet.«
»›Wir‹? Was heißt das?«
»Nun ja«, sagte Alexander gedehnt und grinste spitzbübisch,
»ich war an der Verbreitung des Gerüchts nicht ganz unbeteiligt.«
Alexanders Vorschlag, mit der Straßenbahn zum Vatikan zu fahren, erwies sich als klug. Zwar mussten Enrico und er sich in der voll gestopften Bahn wie die Sardinen in der Dose zusammendrängen, aber der Autoverkehr in Richtung Vatikan war vollends zum Erliegen gekommen.
»Das ist nicht der normale Andrang zum sonntäglichen Angelusgebet«, sagte Alexander, während die Straßenbahn an den feststeckenden Autos vorbeifuhr. »Die Ankündigung des Papstes scheint auf fruchtbaren Boden zu fallen.«
»Er hat ja auch eine gute Presseabteilung«, erwiderte Enrico und bedachte Alexander mit einem Zwinkern. Schon von weitem sahen sie, dass der Petersplatz aus allen Nähten platzte.
Gläubige, Neugierige, Geistliche, Journalisten, Kameraleute und Tontechniker standen kaum minder dicht gedrängt als die Menschen in der Straßenbahn. Polizisten und Schweizergardisten bemühten sich redlich, einigermaßen Ordnung in die Riesenmenge zu bringen. Alexanders Presseausweis und der Umstand, dass er einen der Gardisten gut kannte, ermöglichten es ihm und Enrico, auf den schmalen Gängen, die durch Absperrgitter freigehalten wurden, weit nach vorn zu gelangen, bis ihre Köpfe fast von der gigantischen Kuppel des Petersdoms überschattet wurden. Sie waren nahe dem Herzen der katholischen Christenheit, doch in Enrico, der zum ersten Mal hier war, wollte auch nicht der Ansatz einer weihevollen Stimmung aufkommen. Die vielen tausend Menschen um ihn herum, die laut redeten, einander etwas zuriefen, in ihre Handys schrien, etwas aßen oder tranken, ließen ihn eher an ein Volksfest denken als an einen heiligen Ort. Erst als er genauer hinsah, stellte er fest, dass nicht alle so gelöst waren. Er entdeckte viele Menschen, die sich still verhielten, ernst und konzentriert wirkten und voller Erwartung zu dem Balkon im dritten Stock des Apostolischen Palastes hinaufsahen, von dem aus der Papst traditionell sein Sonntagsgebet sprach.
Das waren jene Gläubigen, die von der Kirchenspaltung zutiefst betroffen waren und sich von der Ansprache ihres Oberhirten Trost und Hoffnung ersehnten.
Aber als dort oben im Apostolischen Palast das zweite Fenster von rechts geöffnet wurde und die Gestalt des Papstes zwischen den großen weißen Fensterläden erschien, verstummten auch die weniger frommen Menschen auf dem Petersplatz. Für ein paar lange Sekunden herrschte eine fast vollkommene Stille, und erwartungsvoll richteten etliche tausend Menschen ihren Blick auf den Papst, der da oben so klein und unscheinbar wirkte. Enrico war ein wenig enttäuscht, er hätte Papst Custos gern besser gesehen. Aber obwohl er und Alexander ziemlich weit vorn standen, konnte er nur die Umrisse des in Weiß gekleideten Heiligen Vaters erkennen. Die Stimme des Papstes aber hallte dank moderner Technik laut und deutlich über das weite Rund, während er das Angelusgebet sprach. Als es beendet war, herrschte wieder Schweigen, und die Menschen blickten unverwandt auf Custos.
Der Papst schien sich zu sammeln, bevor seine Stimme abermals über den Petersplatz schallte: »Meine Söhne und Töchter, Gläubige und Besucher, ihr Menschen in Rom und in der ganzen Welt, ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um zu euch zu sprechen. Seit Tagen fragt ihr euch, wie es um die Heilige Römische Kirche steht,
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