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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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weil eine andere Kirche gegründet, ein anderer Papst gewählt wurde. Ihr fragt euch, welcher Kirche und welchem Papst ihr euer Vertrauen schenken sollt. Einige von euch haben sich längst entschieden, andere zweifeln noch. Ich kann das gut verstehen, und ich bin weit davon entfernt, die Anhänger der Gegenkirche zu verdammen.
    Mir ist bewusst, dass die Kardinäle, Bischöfe und Priester der Gegenkirche im besten Glauben handeln, und das gilt auch für die Menschen, die ihre Gotteshäuser und ihre Gottesdienste besuchen.«
    Diese Erklärung des Papstes rief allgemeine Verwunderung hervor, und ein Raunen ging durch die Menge. Einige Reporter, die vor laufenden Kameras live berichteten, sprachen hastig ihre Kommentare in die Mikrofone.
    »Ja, ich habe Verständnis für die Abtrünnigen«, fuhr Custos fort und sprach eine Spur lauter, um die allgemeine Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. »Aber ich billige nicht, was sie tun. Ich verstehe, dass wir in schwierigen Zeiten leben, in denen es schwer fällt, am Glauben festzuhalten, wenn dieser Veränderungen unterworfen ist. Ich selbst habe einige Veränderungen in der Kirche durchgeführt und weitere geplant.
    Viele derjenigen, die dem Gegenpapst Treue gelobt haben, waren mit diesen Veränderungen nicht einverstanden. Aber ist es falsch, neue Wege zu gehen, wenn ich als der von den Kardinälen gewählte Papst der Meinung bin, dass diese Wege notwendig sind? Ich glaube nicht, dass es falsch ist, und mein Herz vor Gott dem Allmächtigen ist rein. Als Papst ist es meine Aufgabe, die Kirche zu leiten und in eine leuchtende Zukunft zu führen, nicht aber, meine Augen vor notwendigen Reformen zu verschließen. Enttäuschung, Verärgerung und vielleicht auch mangelndes Vertrauen haben die Anhänger der Gegenkirche dazu bewegen, Rom und mir den Rücken zuzukehren. Aber ist Vertrauen nicht dasselbe wie Glauben, und ist der Glaube nicht das, was unser Christsein ausmacht? Wenn der Sohn dem Vater und der Bruder dem Bruder nicht mehr vertraut, ist der Glaube zerstört, ist die Gemeinschaft der Gläubigen zerbröckelt. Darum seid stark und haltet auch in schwierigen Zeiten an eurem Glauben fest! Erinnert euch an Moses, David oder Jesus Christus, Gottes Sohn! Sie alle haben nur durch Vertrauen –
    durch Glauben – zu Gott ihre schwierigen Prüfungen gemeistert.
    Seid jetzt stark, dann ist euer Glaube auch für die Zukunft gefestigt!«
    Nachdem Custos den Aufruf ausgesprochen hatte, herrschte Stille. Dieses Mal ging kein Raunen durch die Menge, denn etwas Ähnliches hatte man erwartet. Aber das konnte noch nicht alles sein, sagten sich die meisten. Der Heilige Vater musste doch noch etwas in der Hinterhand haben! Und tatsächlich setzte Custos ein weiteres Mal zum Sprechen an: »›Der Glaube versetzt Berge‹, schreibt Paulus im ersten Korintherbrief und betont, dass der Glaube allein nichts ist ohne die Liebe. Weil ich auch diejenigen liebe, die sich von mir abgewendet haben, und weil ich voller Sorge bin für die Zukunft der Kirche, werde ich jenen Schritt tun, den die Abtrünnigen nicht gewagt haben. Den Schritt aufeinander zu, zur Begegnung, zum Gespräch. Wie sagen doch die Mohammedaner: Wenn der Berg nicht zum Propheten kommen will, muss der Prophet zum Berg gehen. Der Gegenpapst hat seine Kardinäle für die nächste Woche zum Konzil nach Neapel gerufen. Auch ich werde das Konzil besuchen und hoffe sehr, dass man mir den Zutritt nicht verwehrt. Dann werde ich allen, die ihr Ohr und ihr Herz nicht verschließen, Rede und Antwort stehen. Ich weiß nicht, ob ich die Abtrünnigen von ihrem falschen Weg abbringen kann, aber mein Glaube daran, mein Vertrauen in Gott, lässt sich nicht erschüttern.« Nach kurzer Pause streckte er seine Arme nach vorn und sagte: »Der Herr segne euch!«
    Custos verschwand, und die Menge erwachte aus ihrer Erstarrung. Vereinzelter Applaus wurde laut, pflanzte sich durch die Reihen fort, bekam mehr und mehr Widerhall, und schließlich setzte ein frenetischer Jubel ein, wie er nach Enricos Dafürhalten im Fußballstadion angemessener gewesen wäre als hier. Aber er konnte gut verstehen, dass die Menschen den Papst feierten. Es war eine ehrliche, bewegende Ansprache gewesen, und sie enthielt genügend Zündstoff, um die versammelten Journalisten zu elektrisieren. Eine Frau, die ganz in der Nähe vor der Kamera stand und ihren Text in rasend schneller Geschwindigkeit ins Mikrofon sprach, bezeichnete die Entscheidung des Papstes, nach Neapel zu reisen, als

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