Engelsfluch
zweischneidig: »Custos will damit Liebe und Vertrauen demonstrieren, aber vielleicht sägt er damit an seinem eigenen Stuhl. Viele Menschen werden nicht verstehen, dass der rechtmäßige Papst zum Gegenpapst fährt und nicht umgekehrt.
Man wird sagen, damit erkennt Custos den Gegenpapst mitsamt seiner so genannten Glaubenskirche als ebenbürtig an.«
»Ist das so?«, wandte Enrico sich an Alexander. »Wird man sagen, der Papst behandelt den Gegenpapst als seinesgleichen?
Ist das der Ritterschlag für Lucius?«
»Einige werden so argumentieren, sicher. Aber was soll Custos sonst tun? Wie er eben sagte, wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg gehen. Einer hat den ersten Schritt zu tun, sonst bleibt alles, wie es ist.«
»Und die Kirche bleibt gespalten«, fügte Enrico hinzu.
»Das ist es, was den Papst bewegt. Und wir sollten uns jetzt auch bewegen, unser Mittagessen wartet. Um ehrlich zu sein, mir knurrt schon ein wenig der Magen.«
»Mir nicht. Das Frühstück im ›Turner‹ war sehr reichhaltig.«
Vielleicht, sagte Enrico zu sich selbst, war aber auch seine innere Angespanntheit schuld an seiner Appetitlosigkeit.
Schließlich wurde er nicht alle Tage zum Essen in den Vatikan eingeladen, und Alexanders Geheimnistuerei ließ die Sache noch bedeutungsvoller erscheinen. Vermutlich machte Enrico sich zu viele Gedanken. Irgendeiner von Alexanders Bekannten aus seiner Zeit als Schweizergardist, ein Kardinal vielleicht sogar, hatte von Enrico gehört und war neugierig geworden.
Irgendetwas in der Art würde es sein.
Er folgte Alexander zu einem breiten Eingang, der ins eigentliche Vatikangelände führte. Ein Schweizergardist in seiner farbenfrohen Uniform stand an dem Durchgang Wache und hob erstaunt die Augenbrauen, als er Alexander und Enrico bemerkte.
»Grüß dich, Werner!«, sagte Alexander und zeigte auf seinen Begleiter. »Das ist Herr Schreiber aus Deutschland. Wird sind angemeldet. Muss ich dir den Passierschein zeigen?«
Der Gardist setzte eine entschuldigende Miene auf. »Du kennst ja die Vorschriften, Alexander.«
Alexander zog ein zusammengefaltetes Papier aus einer Innentasche seines dunklen Sakkos und reichte es dem Soldaten.
Der faltete es auseinander und betrachtete es mit zunehmend erstauntem Gesicht.
»Von höchster Stelle ausgefertigt, dann könnt ihr natürlich durch. Was gibt es denn so Wichtiges?«
»Ein Mittagessen«, sagte Alexander, nahm das Papier wieder an sich und ging mit Enrico an dem Schweizer vorbei. »Wir sprechen uns später, Werner.«
Als sie den Wachtposten hinter sich gelassen hatten, fragte Enrico: »Ein alter Kamerad?«
»Ja, kann man sagen.«
»Ihr scheint euch ganz gut zu kennen.«
»So gut nun auch wieder nicht. Werner Schardt und ich haben nur zur selben Zeit bei der Garde angefangen.«
Alexander schien nicht besonders interessiert daran, über seinen ehemaligen Kameraden zu sprechen. Auf Enrico wirkte es fast so, als wolle Alexander aus irgendeinem Grund nicht über diesen Werner Schardt reden. Aber er dachte nicht länger darüber nach, die fremde Welt des Vatikans nahm ihn gefangen.
»Ohne Einladung kommt man hier wohl nicht rein«, sagte er, während er sich umsah.
»Eigentlich nicht. Aber es gibt da ein paar Tricks. Du als deutscher Staatsbürger könntest jederzeit das Gelände des Vatikans betreten, auch ohne Einladung.«
»Willst du mich verkohlen?«
»Keineswegs. Komm mit, ich zeig dir was. So viel Zeit haben wir noch.«
Alexander führte ihn zu einem kleinen Platz, der sich als Friedhof entpuppte. Die Grabsteine, die Enrico näher betrachtete, waren älteren Datums, und er las auf ihnen nur deutsche Namen.
»Das hier ist der Campo Santo Teutonico oder kurz auch nur Campo Santo genannt«, erläuterte Alexander. »Dieser Friedhof befindet sich zwar auf dem Gelände des Vatikans, ist aber exterritoriales Gebiet.« Er zeigte auf das angrenzende Gebäude.
»Das hier ist ein wissenschaftliches Priesterkolleg, das zusammen mit dem Friedhof eine deutsche Stiftung bildet.
Rechtsträgerin ist die Erzbruderschaft zur Schmerzhaften Muttergottes am Campo Santo Teutonico. Mitglieder der Erzbruderschaft sowie anderer deutscher Ordenshäuser in Rom können hier begraben werden, ebenso katholische Verstorbene aus dem deutschen Sprachraum, die sich auf einer kirchlichen Pilgerfahrt nach Rom befinden.«
»Das ist ja ein toller Trick, um in den Vatikan zu gelangen!«, spottete Enrico. »Als Erstes muss man also sterben, oder
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