Engelsfluch
Zeit, bis man einen Schock überwunden hat und seine Erinnerung wiedererlangt.«
»Ich habe der Polizei alles gesagt, was ich weiß«, beteuerte Signora Ciglio. »Nur an die Kette habe ich nicht gedacht, das ist mir erst später wieder eingefallen.«
Elena beugte sich neugierig zu ihr vor. »Was für eine Kette?«
Die alte Frau griff nach ihrer grauen Handtasche, die neben ihr auf der Couch lag, kramte umständlich darin herum und beförderte schließlich eine dünne silberne Kette zutage, die sie vor Elena auf den sechseckigen Glastisch legte. An der Kette, die an einer Stelle zerrissen war, hing ein zierliches Silberkreuz.
Auf den ersten Blick sah es nach dem billigen religiösen Schmuck aus, den man im und rund um den Vatikan an Touristen verkaufte.
Elena nahm die Kette in die Hand und betrachtete sie sorgsam, konnte aber nichts Besonderes an ihr feststellen. »Was hat es mit dieser Kette auf sich?«
»Sie gehört mir nicht«, erklärte Signora Ciglio. »Als man mich ins Krankenhaus gebracht hatte, gab man mir dort die Kette, weil man glaubte, es sei meine. Ich hätte sie angeblich in der Hand gehalten. Aber ich weiß nicht, wie ich dazu komme.
Vielleicht lag sie unter dem Kruzifix, und ich habe nach ihr gegriffen.« Sie schüttelte verzweifelt ihren grauhaarigen Kopf.
»Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern. Ich habe die Kette in meine Handtasche gesteckt und mich erst vor einer halben Stunde an sie erinnert. Was meinen Sie? Muss ich deshalb die Polizei anrufen?«
»Wenn Sie möchten, kann ich die Kette dem zuständigen Commissario übergeben«, schlug Elena vor. »Ich kenne ihn ganz gut.«
Signora Ciglio lächelte schwach. »Das wäre nett von Ihnen, Signorina.«
»Aber gern.« Elena lächelte zurück und steckte rasch die Kette ein, bevor Arietta Parolini einen Einwand erheben konnte.
»Der erste Priestermord ereignete sich vor drei Tagen«, erklärte Commissario Donati dem staunenden Alexander Rosin.
»Das Opfer war ein gewisser Giorgio Carlini, dessen Gemeinde in den Bergen liegt, in Ariccia. Man fand ihn über das Taufbecken gebeugt. Jemand hat ihn im Taufwasser ersäuft.
Wie auch im Fall von Pfarrer Dottesio gibt es keinen Hinweis auf den oder die Täter.«
»Ich habe nichts davon gehört«, wunderte Alexander sich.
»Der Vorfall wurde auf Bitten der Kirche nicht im Polizeibericht erwähnt«, sagte Donati. »Aber der gestrige Mord ließ sich leider nicht verheimlichen.«
»Warum leider?«, fragte Alexander. »Hat die Öffentlichkeit kein Recht auf Information?«
»Commissario Donati will uns nur helfen«, sagte Henri Luu.
»Die Kirche hat in diesen Tagen schon genug Schwierigkeiten.«
»Zwei Priestermorde so kurz aufeinander folgend«, sagte Donati kopfschüttelnd. »Ich möchte wissen, ob es einen Zusammenhang zwischen den beiden Toten gibt, eine Gemeinsamkeit, die über das Priesteramt hinausgeht.«
»Die gibt es«, kam es zu Donatis und Alexanders Überraschung von Papst Custos. »Und das ist der Grund, warum ich Sie beide hergebeten habe.«
Don Luu übernahm wieder das Wort: »Den beiden Ermordeten gemeinsam ist, dass sie früher im Vatikan gearbeitet haben, und zwar beide in der Glaubenskongregation. Giovanni Dottesio hat die Registratur des Archivs geleitet, und Giorgio Carlini war sein Stellvertreter.«
»Also haben sie sich gekannt«, murmelte Donati.
»Seltsam«, überlegte Alexander laut. »Pfarrer von Santo Stefano in Trastevere oder in Ariccia zu sein ist nicht gerade ein Aufstieg. Warum wurden sie versetzt?«
Luu lächelte dünn. »Wenn Sie an eine Strafversetzung denken, irren Sie sich. Laut unseren Personalunterlagen wurden beide auf eigenen Wunsch versetzt.«
»Zu welchem Zeitpunkt?«, fragte der Commissario. Luu griff nach einem abgewetzten Aktenordner auf dem Schreibtisch und blätterte darin. »Ah, hier ist es. Dottesio verließ den Vatikan vor fünf Jahren im Mai, Carlini folgte ihm zwei Monate später.«
»Die Sache riecht immer seltsamer«, fand Donati. »Sie stinkt schon beinah.«
»Deshalb ließ ich Sie rufen«, sagte der Papst. »Ich möchte die Morde schnellstmöglich aufgeklärt haben, Commissario Donati. Sie erhalten eine von mir persönlich ausgestellte Sondervollmacht, die Ihnen erlaubt, ungehindert innerhalb des Vatikans zu ermitteln. Und Sie, Alexander, sollen dem Commissario mit Ihrer Kenntnis vom Innenleben des Vatikans dabei helfen.«
»Sehr gern, aber ich habe einen Job.«
»Das ist bereits abgeklärt«, sagte Luu. »Als Sie
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