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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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oder eine andere Miene auch nur das geringste Zeichen, weshalb ich mich schließlich enttäuscht wieder umwandte, um mir die Parade anzusehen. Die frisch gestriegelten Pferde der Kavallerie trabten hoch erhobenen Hauptes an der Tribüne vorbei, und die Offiziere grüßten das Fürstenpaar mit gezogenem Säbel. Dragoner, Kürassiere und Husaren trugen farbenfrohe Uniformen, waren aber nur in kleinen Kontingenten vertreten. Das Reich von Napoleons Schwester und ihrem Gemahl war klein, und entsprechend bescheiden durfte es um den Umfang ihrer Armee bestellt sein.
    Soldaten und Pferde, Kanonen und Gewehre kosteten Geld, viel Geld, und ein so winziges Land, von Riccardo sehr treffend als
    »Fliegenschiss auf der Weltkarte« bezeichnet, konnte sich nur eine schmale Streitmacht leisten. Der Reiterei folgte die Infanterie, und unter den Offizieren, die ihren Kompanien voranritten, entdeckte ich Hauptmann Lenoir. Die Musik der Regimentskapellen, der hallende Marschtritt blank geputzter Stiefel sowie das Funkeln von Waffen und Uniformteilen im Sonnenlicht verwandelten die Szenerie vor meinen Augen. Aus den Häusern Luccas wurden Sanddünen, aus blühenden Blumen dürres Gestrüpp, und auf einmal schienen mir die Uniformen und Stiefel gar nicht mehr sauber, wirkten die Gesichter der Soldaten unrasiert, schleppten sie sich nur mehr müde dahin, statt mit stolzgeschwellter Brust zu paradieren. Der Anblick der Uniformierten versetzte mich um einige Jahre zurück in ein fernes Land – Ägypten. Ich spürte den allgegenwärtigen feinen Sand zwischen meinen Zähnen knirschen und in meinen Augen brennen, sog mit jedem Atemzug die stickige, abgestandene Luft der unendlichen, eintönigen Wüste ein und schwitzte unter den stechenden Strahlen der gnadenlos auf eine schattenlose Landschaft herabbrennenden Sonne. Ägypten war die Hölle für jeden Fremden, der mit den Eigenheiten dieses sonderbaren Landes nicht vertraut war. Doch als reichte das nicht, grassierten die Pest und die Ruhr, und sowohl unter den Tieren als auch den Menschen erhoben sich alle nur erdenklichen Feinde, um uns das Leben zur Hölle zu machen: Skorpione und Giftschlangen, säbelschwingende Mamelucken und räuberische Beduinen und schließlich die Engländer, die den erschöpften Resten des französischen Expeditionskorps bei Alexandria und Kairo den Rest gaben.
    Eine Hand auf meiner Schulter holte mich aus dem ägyptischen Alptraum ins Hier und Jetzt zurück, und erstaunt stellte ich fest, dass die Parade beendet war. Gardesoldaten präsentierten das Gewehr, als das Fürstenpaar unter erneutem Applaus in seine Kutsche stieg, die im gewohnt gemächlichen Tempo zu dem Palazzo zurückkehrte. Die Vergangenheit hatte mich über längere Zeit in Anspruch genommen, so stark, dass die Strahlen der nur eingebildeten ägyptischen Sonne auf meiner Stirn den Schweiß perlen ließen.
    »Geht es Ihnen nicht gut, Monsieur Schreiber?«
    Als ich den Mann, der mich dankenswerterweise aus dem fernen Nordafrika zurückgeholt hatte, anblickte, blinzelte ich unwillkürlich wie zum Schutz gegen eine blendende, die Luft zum Flirren bringende Wüstensonne. Vor mir stand ein hoch gewachsener Offizier in der Uniform eines Obristen und sah mich mit einer Mischung aus Befremden und Sorge an. Seine langen Koteletten waren grau, wie ausgebleicht, und seine Haut war auffallend dunkel. Gehörte er gar zu den Veteranen von Napoleons ägyptischem Feldzug?
    »Monsieur, soll ich Ihnen einen Arzt rufen?«
    Ich schüttelte den Kopf, bemühte mich um ein Lächeln und tupfte mit dem Taschentuch den Schweiß von meiner Stirn.
    »Danke, nein, es geht schon wieder«, sagte ich und fügte, um langwierige Erklärungen zu vermeiden, hinzu: »Die Aufregungen der vergangenen Tage haben mich wohl ein wenig mitgenommen, mon colonel .«

    Die Haltung meines Gegenübers versteifte sich, und er schien um eine Handbreit zu wachsen, als er sich vorstellte: »Colonel Horace Chenier, Adjutant Ihrer Hoheit, der Fürstin Elisa.«
    »Sie sind Adjutant der Fürstin?«, wunderte ich mich.
    »Bekleidet Ihre Hoheit einen militärischen Rang?«
    »Sie und ihr Gemahl, General Bacchiochi, stehen an der Spitze der Armee von Lucca und Piombino. Ich berate Ihre Hoheit in allen militärischen Fragen und bin gleichzeitig für den Schutz der Fürstin verantwortlich.«
    »Ich verstehe. Was kann ich für Sie tun, Colonel Chenier?«
    »Die Fürstin bittet Sie, auf dem Fest, das sich der Parade anschließt, ihr Gast zu sein. Wenn Sie sich

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