Engelsfluch
und sogar um ihr Leben brachten.
Ich für meinen Teil schätzte mich jedenfalls glücklich, dass die Fürstin Elisa so rigoros mit den Banditen umsprang und dass sie nicht gezögert hatte, gleich mehrere Kompanien auf die Suche nach mir auszuschicken. Wieder drängte sich mir die Frage auf, was für ein mächtiger Mann mein Auftraggeber sein mochte, dass er einen solchen Einfluss auf die Schwester von Kaiser Napoleon ausübte. Als die Soldaten sich auf einer Lichtung zu einer Rast niederließen und Hauptmann Lenoir sich zu mir und meinen vermeintlichen Dienstboten gesellte, hoffte ich, etwas mehr in Erfahrung zu bringen. Um nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, fragte ich wie beiläufig, woher die Soldaten die Route meiner Kutsche gekannt hätten. Zu meiner Enttäuschung bestand Lenoirs Antwort aus nur einem einzigen, nicht sonderlich erhellenden Satz: »Nur Geduld, Monsieur Schreiber, in Lucca werden Sie alles Wichtige erfahren!«
Hauptmann Lenoirs Kompanie schloss sich mit den anderen Suchtrupps zusammen, und am frühen Nachmittag des folgenden Tages erreichten wir Lucca. Sobald die Stadtmauern in Sicht kamen, ließen sich die Soldaten zu Jubelschreien hinreißen, weil sie froh waren, dass ihr Marsch ein Ende fand.
Maria, Riccardo und ich mussten uns nicht über wunde Füße beklagen, dafür aber über einen anderen Körperteil, der gehörig strapaziert worden war, nachdem jeder von uns als Reittier eins der Maultiere zugeteilt bekommen hatte, die zum Tross des Suchtrupps gehörten. Ich vergaß meine Beschwerden, als die vagen Umrisse der Stadt im gleißenden Licht der Nachmittagssonne konkrete Formen annahmen, die mich augenblicklich in ihren Bann schlugen. Ringsum von alten Festungswällen umgeben, bot Lucca einen imposanten Anblick.
Zahlreiche Bäume auf dem inneren Wall erweckten von außen den Eindruck, nicht eine Stadt, sondern ein Wald liege hinter den breiten Mauern verborgen. Ein einzelner Geschlechterturm, wohl letztes Relikt des Himmelwärtsstrebens mittelalterlicher Bauherren, ragte über die Dächer und Wälle, und sogar auf diesem Turm erhoben sich stolze – auf sein Dach gepflanzte –
Bäume. Lucca machte auf mich einen märchenhaften Eindruck, und als unsere lange Kolonne durch eines der Stadttore strömte, glaubte ich, in eine andere Welt einzutauchen.
Zahlreiche Menschen aller Schichten und beiderlei Geschlechts, jung wie alt, strömten uns entgegen und überschütteten uns mit Zurufen und Fragen. Die Aussendung der Expedition zur Aushebung der Banditen war in Lucca offenbar in aller Munde, und jeder war begierig, möglichst rasch Näheres über die Abenteuer der Soldaten zu erfahren. Mancher Infanterist lächelte mehr oder minder verstohlen einer Frau zu und freute sich nach dem strammen Marsch in spätsommerlicher Hitze wohl schon auf einen Abend mit Wein, Gesang und vor allem einem Weib. Nicht alle der Soldatenliebchen hätte ich als Schönheiten bezeichnet, aber nach der zweiten oder dritten Karaffe roten Weins würde das die Soldaten nicht mehr stören, würden sie wohl auch eine zahnlose Vettel für einen Ausbund an Liebreiz halten. Mein Blick wanderte zu dem Maultier schräg hinter mir, auf dem Maria saß. Es gab wirklich kaum Frauen, die ihr an Schönheit gleichkamen. Das galt auch für jene weiblichen Angehörigen höherer Stände, die sich unter die Menge gemischt hatten, sich zwar äußerlich Zurückhaltung auferlegten, uns aber mit nicht weniger neugierigen Blicken bedachten wie die Eheweiber einfacher Handwerker oder Tagelöhner. Auch wenn die feinen Damen edle Kleider von gutem Schnitt trugen und ihre kleinen Schirme zum Schutz gegen die Sonne elegant über ihre Häupter hielten, Maria stach sie mit ihrer natürlichen Anmut allesamt aus, mochte ihre Kleidung auch verschmutzt und abgerissen sein.
Riccardo sah mich an und grinste breit. Vermutlich ahnte er; welchen Eindruck seine Schwester auf mich gemacht hatte. Mir missfiel sein anmaßender Gesichtsausdruck, und schnell wandte ich meinen Blick ab und betrachtete die Straße, durch die unsere Kolonne sich mehr schlecht als recht voranbewegte. Lucca wirkte auf mich wie eine Stadt, die sich seit dem Mittelalter nicht mehr verändert hatte, und vielleicht verhielt es sich genau so. Die alten Festungswälle schienen Lucca vor Veränderungen bewahrt und nicht nur den Ort, sondern auch die Zeit eingeschlossen zu haben. Die Straße, durch die wir zogen, war im Vergleich zu den abzweigenden Seitengassen verhältnismäßig breit und
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