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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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breit, zuwarfen. Nur widerstrebend hatte ich Maria und Riccardo mitgenommen. Ich befürchtete, dass Maria den Strapazen nicht gewachsen war. Und was ihren Bruder betraf, so konnte mich das lammfromme Verhalten, das er seit der Erstürmung seines Lagers durch Hauptmann Lenoirs Soldaten an den Tag legte, nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich es mit einem ebenso gerissenen wie gefährlichen Mann zu tun hatte. Aber ich wollte die beiden nicht allein in Lucca zurücklassen. Nur mein Wort bewahrte sie vor dem Strick, und ein längerer Aufenthalt in der Stadt hätte die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass etwas über Riccardos und Marias Vorleben herauskam. Außerdem, das muss ich gestehen, war mir Marias Nähe höchst angenehm.
    Als wir ihr einen Verband angelegt hatten, hob sie den Kopf gen Himmel und beschattete ihre Augen mit der flachen Linken.
    »Der Unheilsvogel schwebt über unseren Köpfen. Unser Vorhaben steht unter keinem guten Zeichen.«
    »Wieso Unheilsvogel?«, fragte ich. Riccardo antwortete mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Nur ein dummer Aberglaube aus unserer Kindheit.«
    Hauptmann Lenoir drängte zum Weitermarsch, und so ging ich nicht näher auf die Sache mit dem Vogel ein. Immer noch ging es steil bergan, sahen wir vor uns und um uns nichts anderes als dichten Wald. Nur der ausgetretene Fußpfad wies darauf hin, dass wir uns nicht verlaufen hatten, dass es einen Anfang gab und ein Ziel. In dumpfer Ergebenheit, fast mechanisch setzten wir einen Fuß vor den anderen, und nach weiteren zwei Stunden lag dieses Ziel so plötzlich vor uns, dass es wie ein Schock auf alle wirkte. Der gesamte Trupp hielt an, ohne dass jemand den Befehl dazu gegeben hatte, und starrte auf die Mauern von Borgo San Pietro. Der erste Eindruck war nicht der eines Bergdorfes, sondern einer Festung. Hohe, finstere Mauern, wohin man sah. Kaum einmal eine Fensteröffnung, allenfalls ein schmaler Spalt, eher eine Schießscharte. Die Mauern überragten einander, überschnitten sich, und ich konnte bei aller Anstrengung keinen Eingang in dieses Bollwerk entdecken. Der Wald bildete rund um den Ort, der von seiner Erhebung aus die Gegend nach allen Himmelsrichtungen beherrschte, eine große Lichtung. Ringsum lagen Felder, durch die sich schmale Bäche schlängelten.
    Lenoir sprach aus, was wir alle wohl dachten: »Das sieht nicht aus wie ein Ort, in dem Menschen leben, sondern wie eine von ihrer Garnison aufgegebene Bastion.«
    »Orte wie diesen findet man häufig hier in den Bergen«, sagte Riccardo, der mit Maria neben mich getreten war. »Sie stammen aus einer Zeit, die ähnlich kriegerisch war wie die heutige, einer Zeit, als sich die italienischen Fürstentümer untereinander bitter bekriegten. Feindliche Überfälle waren an der Tagesordnung. Deshalb baute man die Dörfer wie Festungen, und oft genug mussten sie tatsächlich Sturmangriffen und Belagerungen standhalten.«
    »Offenbar haben die Bewohner es irgendwann aufgegeben, sich zu verteidigen«, meinte Lenoir. »Der Ort sieht so tot aus wie das österreichische Heer nach der Schlacht von Rivoli.«
    Riccardo kniff die Augen zusammen und starrte angestrengt auf das dunkle Konglomerat aus Mauern, Türmen und Dächern.
    »Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich glaube, auf dem Turm dort links hat sich eben etwas bewegt.«
    Ich schirmte meine Augen mit beiden Händen gegen die Sonne ab und musterte den Turm, ohne jedoch eine Menschenseele zu entdecken. Lenoir zog ein Fernrohr hervor und nahm den Turm ins Visier, konnte aber Riccardos Beobachtung auch nicht bestätigen. »Vielleicht habe ich mich getäuscht, was bei der gleißenden Sonne kein Wunder wäre«, gestand Riccardo zu. »Trotzdem glaube ich, dass Menschen in dem Dorf leben. Wie sonst wäre es zu erklären, dass die Felder bestellt sind?«
    Damit hatte er zweifelsohne Recht, und auch Lenoir stimmte ihm zu. Der Hauptmann traf sofort Anordnungen zur Erkundung des geheimnisvollen Bergdorfes. Zehn seiner Männer ließ er zur Bewachung der Pferde und der Maultiere zurück, die unsere Verpflegung und Ausrüstung trugen. Die anderen sollten mit aufgepflanztem Bajonett unter seiner Führung den Ort erkunden.
    Ich schloss mich dem Trupp an, und Riccardo gesellte sich an meine Seite. Als auch Maria mitkommen wollte, lehnten wir beide das ab. Borgo San Pietro erschien uns nicht geheuer, weshalb wir Maria lieber beim Tross in Sicherheit wussten.
    Langsam rückten wir gegen den Ort vor, und die Mauern wuchsen vor uns zu bedrohlicher

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