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Engelsfluch

Engelsfluch

Titel: Engelsfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Müller, der uns dafür Unterkunft und Essen gab. Aber er war nicht gut zu uns, wurde schnell wütend und schlug uns dann. An dem Morgen, als ich den Unheilsvogel ein drittes Mal sah, wusste ich, dass etwas Schlimmes geschehen würde. Meine Schwester war noch so klein, und ich ging fest davon aus, dass ich es war, die sterben musste. Aber der wütende Müller schlug meine Schwester, und sie fiel in den Mühlbach, wo sie ertrank.«
    »Was ist mit deinem Bruder? Warum hat Riccardo euch nicht geholfen?«
    Für einen Augenblick schien sie über meine Frage verwirrt, dann sagte sie: »Er hat sich erst später um mich gekümmert. Zu der Zeit, als Mutter starb, trieb er sich in der Fremde herum.«

    Ich dachte über ihre Worte nach. »Jetzt glaubst du, du musst sterben, weil du meinst, diesen Vogel heute wieder gesehen zu haben?«
    »Es war der Unheilsvogel.«
    »Was macht dich dessen so gewiss?«
    »Ich weiß es ganz einfach. Genügt das nicht?«
    »Fürchtest du um dein Leben oder um das von Riccardo?«
    »Ist das nicht gleichgültig?«
    »Aber dein Bruder glaubt nicht daran. Er hat es als Aberglauben abgetan.«
    »Riccardo hat immer darüber gelacht, wenn ich ihm von dem Unheilsvogel erzählt habe. Er war bisher auch nie dabei, wenn der Vogel sich gezeigt hat.«
    Maria war so von ihrer Geschichte mit dem Unheilsvogel überzeugt, dass jeglicher Versuch, sie davon abzubringen, ein fruchtloses Bemühen geblieben wäre. Deshalb nahm ich einfach nur ihre rechte Hand in meine Hände, hielt sie fest und sagte:
    »Ich bin bei dir, Maria. Ich werde auf dich aufpassen und dir zur Seite stehen, das verspreche ich.«
    »Danke«, sagte sie nur und schluckte. Sie wirkte verlegen.
    Ich hatte ein wenig den Eindruck, dass ihr mein Versprechen unangenehm war. Oder war es meine Nähe, meine Berührung, die sie nicht ertrug?
    Ich blickte sie ernst an und sagte: »Maria, du bedeutest mir sehr viel. Vielleicht ahnst du nicht, wie viel. Ich wünsche mir, dass du …«
    Weiter kam ich nicht. Sie stand abrupt auf und sagte:
    »Schweigen Sie, Signore, bitte! Sprechen Sie nicht davon, niemals wieder!«

    Ehe ich sie noch nach dem Grund fragen konnte, drehte sie sich um und lief in Richtung der Pinien davon. Ich war reichlich durcheinander. Schnell gesellte sich zu meiner Enttäuschung und Verwirrung die Wut darüber, so von Maria abgespeist worden zu sein. Ich redete mir ein, das Recht auf eine Erklärung zu haben, und lief ihr deshalb hinterher.
    Es war bereits so dunkel, dass ihre Umrisse unter den düsteren Schemen der Pinien nicht zu erkennen waren. Also rief ich abermals ihren Namen, erhielt aber keine Antwort. Ich gelangte zu den Bäumen, blieb zwischen ihnen stehen und sah mich nach Maria um. Ich hörte ein Rascheln aus der Richtung des Waldes und sah eine schattenhafte Gestalt, die sich durchs Buschwerk kämpfte. Das konnte nur Maria sein, und ich rief noch einmal nach ihr. Wieder vergebens. Gerade wollte ich ihr nachlaufen, da hörte ich einen kurzen Schrei, und sie war verschwunden.
    Angst griff nach mir und umklammerte mein Herz, Angst um Maria. Hatte sich ihre düstere Prophezeiung von dem todbringenden Unheilsvogel jetzt und hier erfüllt?
    Ich lief in das Gebüsch und achtete nicht auf die Dornenranken, die meine Kleider und meine Haut aufrissen. Die Sorge um Maria trieb mich voran und ließ mich alles andere vergessen, auch jede Vorsicht. Als der Boden plötzlich unter mir nachgab, traf es mich vollkommen unvorbereitet. Ich verlor das Gleichgewicht, stürzte in ein Loch und schlug auf einem harten Untergrund auf, während um mich herum Erdreich und Steine niederprasselten. Ich war mit der linken Seite aufgeschlagen, und mein Arm schmerzte fürchterlich. Schmutz war in meine Augen gefallen und brannte. Ob meine tränenden Augen etwas sahen oder nicht, blieb sich allerdings gleich, da es in diesem Loch vollkommen finster war. Während ich mir noch meine schmerzenden Augen rieb, hörte ich dicht neben mir ein leises Stöhnen.

    »Maria?«, rief ich. »Bist du da?«
    »Ja, hier. Was ist geschehen?«
    Ihre Stimme klang unglaublich nah. Und tatsächlich, als ich meine rechte Hand ausstreckte, berührte sie Marias Haar.
    »Du warst plötzlich verschwunden«, erklärte ich. »Als ich dir folgte, gab der Boden unter meinen Füßen nach.«
    »So ist es mir auch ergangen. Was sollen wir jetzt tun?«
    »Schwer zu sagen. Hier unten ist es stockfinster. Wir brauchten ein Licht, um einen Weg heraus zu finden.«
    Kaum hatte ich das gesagt, erklang

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