Engelsfuerst
einen
warnenden Blick Larthis auf. Auch sie schien die
fremde Kraft zu spüren. Als Vel die Frau anblickte,
die er liebte, gelang es ihm, die fremden Stimmen und
Gedanken zurückzudrängen.
War das die Erklärung für Larths eigenartiges Verhalten? Hatte er die fremde Macht nicht bannen können und wurde nun von ihr beherrscht?
Als hätte Larth seine Gedanken gespürt, drehte er
sich zu Vel und Larthi um. »Tretet doch näher heran
an den Schlund der Ahnen, kommt!«
Mit einer einladenden Geste wollte er Vel und
Larthi in die Mitte der Höhle locken. Als sie sich
sträubten und stehenblieben, spürte Vel eine Schwertklinge im Rücken und hörte Arnths Stimme dicht hinter sich: »Tut besser, was Larth sagt!«
Hand in Hand traten Vel und Larthi an ein großes
Loch, das sich irgendwo vor ihnen im Dunkel der
Höhle verlor. So weit Vel sich auch vorbeugte, er
konnte nichts erkennen als scheinbar unendliche Finsternis.
Die Stimmen in seinem Kopf wurden lauter; die
Ahnen riefen ihn auf, seine Kraft mit der ihren zu verschmelzen. Aber auch die warnenden Stimmen erhoben sich wieder. Ihm wurde warm, und aus dem
Schlund vor ihnen stieg Rauch auf. Dort unten mußte
die Quelle jener unheimlichen Macht verborgen sein.
Die Hitze wurde unerträglich, und Vel wollten die
Sinne schwinden …
Schwer atmend lag Enrico auf dem Feldbett, und nur
allmählich kam er zur Ruhe. Was er gesehen – nein,
erlebt – hatte, hatte ihn stark mitgenommen. Elena
benetzte das Handtuch zum wiederholten Mal, um
damit über sein verschwitztes, gerötetes Gesicht zu
wischen.
Er sah in das mitfühlende Antlitz seines Vaters und
sagte leise: »Es tut mir leid, aber ich habe es nicht länger ausgehalten. Oder Vel hat es nicht länger ausgehalten. Ich weiß es nicht, und möglicherweise bleibt
sich das auch gleich.«
Lucius legte ihm eine Hand auf die Stirn, was er als
sehr beruhigend empfand. »Schon gut, mein Sohn, du
mußt dich jetzt ausruhen. Wir werden noch erfahren,
was vor zweitausend Jahren an diesem Ort geschah,
das spüre ich. Aber im Augenblick …«
Er verstummte und blickte nach rechts, wo die
Zeltplane ein Stück angehoben wurde. Eine schlanke
Gestalt kroch ins Zelt und hielt warnend den rechten
Zeigefinger vor die Lippen.
Francesco!
Auch er trug einen der dunklen Totus-TuusAnzüge und eine Pistolentasche. Enrico wußte nicht,
worüber er sich mehr wundern sollte, über Francescos
plötzliches Auftauchen oder die Waffe an seiner Hüfte. Der junge Mönch war ihm stets wie das genaue
Gegenteil eines Kriegers vorgekommen.
»Wie geht es, Enrico?« flüsterte der unerwartete
Besucher, als er ganz im Zelt war und sich aufrichtete.
»Es könnte besser sein«, sagte Enrico.
Francesco sah ihn lange an, Bedauern und Scham im
Blick. »Enrico, es tut mir leid, was ich dir angetan habe. Ich habe in gutem Glauben gehandelt, wirklich.
Aber mir ist klargeworden, daß ich vom rechten Weg
abgekommen bin. Nicht nur ich, sondern auch Vater
Tommasio und alle, die ihm folgen.« Enrico fand es
seltsam, daß Francesco noch immer von »Vater«
Tommasio sprach und nicht, wie die anderen hier,
vom General.
»Ich höre deine Worte, Francesco, aber dein Aufzug spricht eine andere Sprache. Du trägst die TotusTuus-Uniform, und an deiner Seite hängt eine Waffe.«
Francesco sah mit unglücklicher Miene an sich hinunter. »Vater Tommasio hat mir befohlen, diese Uniform anzulegen und die Waffe zu tragen. Ich stecke
zum ersten Mal in diesen Kleidern und fühle mich
nicht wohl darin. Nie im Leben habe ich eine Schußwaffe benutzt, auch nicht gestern im Kloster. Hätte
ich Vater Tommasios Pläne gekannt, ich hätte gewiß
versucht, deinen Vater und dich zu warnen. Glaub
mir, Enrico!«
»Deine Reue scheint aufrichtig zu sein«, erwiderte
Enrico, »aber sie kommt zu spät.«
»Vielleicht nicht«, widersprach Francesco. »Ich bin
gekommen, um euch hier herauszubringen!«
»Wie das?« fragte Enrico ungläubig. »Das Tal wird
gut bewacht.«
»Wir haben einen Wagen. Ihr müßt nur schnell mit
mir kommen, ehe die Wachen etwas merken. Fühlst
du dich stark genug, Enrico?«
»Es muß gehen.« Enrico setzte sich auf, um seinen
Vater und Elena anzusehen. »Was sagt ihr dazu?«
»Ich bin dabei«, sagte Elena. »Und ich habe genug
gesehen. Man darf journalistische Neugier nicht mit
Lebensmüdigkeit verwechseln.«
»Wir sollten Francesco vertrauen«, stimmte auch
Lucius zu. »Und wir haben ohnehin keine Wahl.«
»Dann hier lang!« flüsterte Francesco und
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