Engelsfuerst
schmalen
Pritsche lag. Auch daß er nach einigem Zögern eingewilligt hatte, sich von Tommasio rückführen zu lassen, verlor an Bedeutung, verschwand aus seiner Erinnerung. Es gab kein Kloster mehr, keinen Abt und
keinen Enrico Schreiber.
Tommasios Stimme wurde zu einem leisen, langsam
verebbenden Echo: »… hören Sie die Schreie … die
Schreie … Schreie …«
Das Geschrei der Menge wahr ohrenbetäubend, und
er begann gleichfalls zu schreien, als er sah, wie Larthi
in Gefahr geriet. Er rief ihr zu, sie solle sich in acht
nehmen, aber sein Ruf ging im allgemeinen Lärm unter. Larthi konnte ihn nicht hören, sie schien ihn nicht
einmal gesehen zu haben. Sie war viel zu beschäftigt
mit dem, was in ihrer unmittelbaren Umgebung geschah.
Der Kreis, der sich um die Tochter der Weißen
Göttin gebildet hatte, wurde immer enger, seit Larthi
sich für den Frieden ausgesprochen hatte.
Die Parteigänger der Kriegstreiber waren erbost; ihr
Versprechen, Larthis Ratschlag zu achten, galt von einem Augenblick auf den nächsten nichts mehr. Larthi
wurde eine falsche Schlange genannt, eine böse Hexe,
eine römische Hure und noch mehr, noch Schlimmeres.
Er setzte sich in Bewegung und versuchte, sich zu
der Geliebten durchzukämpfen. Aber die Menge
stand wie eine Wand, es gab kaum ein Durchkommen,
selbst dann nicht, als er hemmungslos von Fäusten
und Ellbogen Gebrauch machte.
Schon griffen die aufgebrachten Kriegstreiber nach
Larthi, zerrten an ihr, rissen ihr helles Gewand in Fetzen und bedrängten sie derart, daß er ihren Tod zu
fürchten begann. Da tauchte plötzlich Larth mit einigen Getreuen auf. Larthis Bruder und seine Männer
waren mit Knüppeln bewaffnet, die sie bedenkenlos
einsetzten. Mehrere der Kriegstreiber gingen mit blutenden Wunden zu Boden, und Larths Begleiter
scharten sich schützend um Larthi.
Als er das sah, beseelte ihn neuer Mut. Er stieß wild
um sich und kämpfte sich voran, bis er die Geschwister und ihre Helfer endlich erreichte.
Larthi, die aus mehreren kleinen, aber offenbar
nicht bedrohlichen Wunden blutete, fiel ihm um den
Hals. »Vel, endlich bist du bei mir!«
Vel – der Name kam ihm seltsamerweise fremd vor.
Aber dieser Gedanke wurde sogleich verdrängt von
dem Glück, Larthi in die Arme schließen zu können.
Er drückte sie an sich und hielt sie einfach nur fest.
»Freut euch daheim weiter!« sagte Larth, der immer
noch seinen Knüppel schwang, um den Pöbel fernzuhalten. »Wir sollten sehen, daß wir hier wegkommen.«
Sie setzten sich in Bewegung und achteten darauf,
daß Larthi in ihrer Mitte blieb. Hier auf dem Forum
herrschte das größte Getümmel. Je weiter sie sich von
dem Platz entfernten, desto schneller kamen sie voran.
Bald lag die Stadt hinter ihnen, und endlich tauchte
das große Anwesen, das auf einem bewaldeten Hügel
lag, vor ihnen auf. Der grauhaarige Laris, der Vater
von Larth und Larthi, erwartete sie am Tor. Beim
Anblick seiner Tochter schlug seine Besorgnis in Entsetzen um.
»Was bei allen Göttern ist geschehen?«
»Frag nicht alle Götter, Vater, frag nur die weise
Leukothea!« sagte Larth mit unüberhörbarem Sarkasmus und sah seine Zwillingsschwester an. »Ihre Tochter hat den Menschen zum Frieden mit Rom geraten. Das war nicht das, was die meisten hören wollten. Wären meine Freunde und ich nicht in der Nähe
gewesen, wäre es für Larthi wohl übel ausgegangen.«
Laris musterte die Männer, die bei seinem Sohn waren. Vel sah dem alten Mann an, daß sie nicht nach
seinem Geschmack waren.
Trotzdem machte Laris eine einladende Geste und
sagte zu ihnen: »Ich bin euch zu tiefem Dank verpflichtet. Mein Haus ist euer Haus, Freunde. Tretet
ein, und laßt euch mit allem bewirten, was unsere
Vorratsräume zu bieten haben.«
Die Truppe zögerte nicht lange, sondern zog
sogleich, angeführt von Larth, fröhlich in Richtung
des langgestreckten Hauses.
Nur Laris, Larthi und Vel blieben zurück.
»Sie gefallen mir nicht wirklich«, sagte Laris, während er der lärmenden Schar nachsah. »Aber in der
augenblicklichen Lage ist es nicht verkehrt, ein paar
kräftige Männer im Haus zu haben. Womöglich
kommen die Kriegstreiber noch hier heraus, um ihre
Wut an Larthi auszulassen.«
»Wir könnten die Soldaten rufen«, schlug Vel vor.
Laris machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Könnten wir, sollten wir aber nicht. In der gegenwärtigen politischen Lage würden römische Soldaten
die Stimmung nur aufheizen und unsere Familie
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