Engelsfuerst
waren.«
Sie ging zwischen den deckenhohen Bücherregalen
hindurch und blieb vor der hinteren Wand stehen. Sie
rief Alexander, und er fand sie vor einem Gemälde,
das Jesus und eine Frau zeigte.
»Ein Rembrandt«, stellte er fest. »Vermutlich eine
Reproduktion.«
»Richtig, und das Bild nehmen wir jetzt mal ab.«
»Wieso?«
»Wenn ich mich recht entsinne, heißt es Christus
und die Frau von Samaria. «
»Wenn du recht hast, lade ich dich ins beste Restaurant Roms ein«, sagte Alexander und half Elena, das
Gemälde abzuhängen. Dahinter kam der glänzende
Stahl eines Wandtresors zum Vorschein.
Elena grinste. »Das wird teuer, Alex!«
3. Tag
Freitag,
14. Oktober
26
Lorenz
W
ie soll ich das nur erklären? Was sage ich der
Presse? Egidio Guarducci ist bei uns eine bekannte und beliebte Persönlichkeit gewesen. Ich kann
seinen Tod nicht lange geheimhalten. Diese verfluchten Journalisten sind wie Aasgeier; jede Leiche zerfleddern sie, immer auf der Suche nach einer tollen
Story.« Armando Morettis Blick fiel auf Alexander
und Elena, und er fügte schnell hinzu: »Verzeihung,
Anwesende natürlich ausgeschlossen.«
Der Polizeichef von Florenz war ein kleiner, drahtiger Mann, ein wahres Energiebündel. Er tigerte im
Konferenzraum des Polizeipräsidiums auf und ab und
gestikulierte wild, während er sprach.
Alexander, der neben Elena und Stelvio Donati an
dem ovalen Tisch saß und einen Cappuccino trank,
empfand es als anstrengend, dem rastlosen Mann zuzusehen und sich seine verzweifelten Tiraden anzuhören.
Er sah Elena an, daß es ihr genauso ging. Sie waren
beide erschöpft und übernächtigt, hatten sie doch allenfalls zwei oder drei Stunden Schlaf gehabt, in einem
kleinen Hotel in der Nähe des Präsidiums.
Nach Guarduccis Tod waren sie nach Frana gefahren und hatten die Dorfpolizisten, die gerade ihre
kleine Wache abschlossen und sich auf den Feierabend freuten, davon überzeugen müssen, daß sie ihnen keinen Bären aufbanden. Murrend waren die Beamten ihnen durch das Unwetter zum Haus des Erzbischofs gefolgt, und dann war der Stein ins Rollen
gekommen.
Kriminalpolizisten aus Florenz waren angerückt,
und spät in der Nacht war Donati eingetroffen. Wieder und wieder hatten Alexander und Elena ihre Geschichte erzählen müssen.
Donati biß eher lustlos in ein Marmeladenhörnchen, kaute mechanisch und schlug dem Polizeipräsidenten vor: »Bleiben Sie mit der Geschichte, die Sie
den Medien auftischen, so dicht wie möglich an der
Wahrheit! Erzbischof Guarducci war herzkrank und
ist an einem Herzanfall gestorben. Das ist zu hundert
Prozent korrekt.«
Moretti blieb vor Donati stehen, fuchtelte aber weiter mit den Armen. »Das erklärt weder den riesigen
Polizeiauftrieb noch den Tod der Haushälterin. Soll
ich etwa erzählen, sie sei beim Anblick des toten Bischofs vor Schreck vom Schlag getroffen worden?«
»Sprechen Sie von unbekannten Einbrechern, die
Signora Ferzetti getötet haben, aber drücken Sie sich
möglichst vage aus. Alles andere könnte unsere Ermittlungen behindern.« Donati beugte sich vor und
sah Moretti beschwörend an. »Auch der Vatikan ersucht die italienische Polizei in dieser Angelegenheit
um größte Diskretion!«
»Schon gut, schon gut«, seufzte Moretti. »Ich lasse
mir etwas einfallen. Fast sollte ich mir wünschen, daß
die Mörder nicht identifiziert werden. Dann müßte
ich nicht lügen.«
»Apropos«, meldete Alexander sich zu Wort. »Gibt
es Neuigkeiten über den Einäugigen?«
»Nein, nichts«, antwortete der Polizeipräsident.
»Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Vielleicht hat
er sich längst aus dem Staub gemacht, vielleicht hält er
sich noch in den Bergen versteckt. Meine Leute
durchkämmen die Gegend rund um Guarduccis Haus,
was bei dem Mistwetter kein Vergnügen ist.«
Düster blickte Moretti durch die große Fensterfront nach draußen, wo die Dächer von Florenz hinter
dem dichten Regenschleier aussahen wie eine mit
verwischender Farbe gemalte Kulisse. Die PiepsVersion eines alten Oliver-Onions-Hits erklang, und
er fischte sein Handy aus dem Jackett des maßgeschneiderten Dreiteilers. »Ja, gut, wir kommen«, sagte
er, steckte das Handy wieder ein und drehte sich zu
den anderen um. »Wir haben den toten Killer identifiziert. Folgen Sie mir bitte!«
Mit dem Fahrstuhl ging es zwei Stockwerke nach
unten, wo der Polizeipräsident sie in einen abgedunkelten Raum führte. Eine junge Frau mit langem
schwarzen Haar saß vor einem Flachbildschirm
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